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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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sickerte jetzt noch tiefer in den Blutstrom des kalabrischen Lebens ein. Die Romeo-Brüder bildeten ein »Beratungskomitee« für ihren eifrigen, aber unerfahrenen Boss, während sie die eigentliche Macht für sich behielten. Und mit diesem Arrangement war das politische Gleichgewicht innerhalb der Organisation in Cirella wiederhergestellt.
    Unterdessen gingen die kriminellen Geschäfte ihren alten Gang. Und wie üblich, konnten selbst Lappalien tödliche Konsequenzen haben. Dem Arzt vor Ort war unlängst ein wertvoller Jährlingsbulle abhandengekommen und seine Bemühung, den Dieb ausfindig zu machen, ein Tappen im Dunkeln. Irgendwann wandte er sich an Maria Marvelli und bat sie, ihren Ehemann Paolo Agostino (ein Verwandter des Arztes) auf Ustica zu bitten, er möge sich unter den Mithäftlingen ein wenig umhören. Seit jeher war das Gefängnis die große Verteilerstelle für die Kommunikation der Mafia.
    Ein Brief kam schon bald aus Ustica zurück: Die Diebe seien Bruno, Rocco und Francescantonio Romeo, schrieb Paolo Agostino, also die Hintermänner des »unsichtbaren Bosses« und mittlerweile die einflussreichsten
picciotti
in Cirella.
    Naiv gab der Arzt Paolo Agostinos Brief weiter an die Carabinieri. Daraufhin trug ein Spion innerhalb der Polizei den drei Romeo-Brüdern zu, dass Paolo Agostino ihnen Schwierigkeiten bereiten wolle. Noch bevor der Hinweis sie erreichte, wussten die Romeos, dass Agostino ihnen nach seiner Rückkehr aus Ustica gefährlich werden konnte. So warnten sie Maria Marvelli, indem sie ihr Haus anzündeten und ihr 30  Ziegen stahlen.
    Als Agostinos Heimkehr näherrückte, planten die Romeo-Brüder noch drastischere Maßnahmen, um ihre Position zu verteidigen. Sie stellten den Antrag an die Ehrenwerte Gesellschaft, Maria Marvellis Ehemann ermorden zu dürfen; als einwandfreie rechtliche Begründung gaben sie an, er habe gegen die Omertà verstoßen und dem Arzt verraten, wer den Jungbullen gestohlen hatte.
    Nach zweijähriger Abwesenheit kam Paolo Agostino am 2 . März 1936 endlich wieder nach Hause und wurde sofort zu einer Versammlung der Ehrenwerten Gesellschaft zitiert: Wie gedenke er seinen Regelverstoß zu rechtfertigen? Seine Selbstverteidigung war eine verzweifelte Vortäuschung von Chuzpe. Er brauche in Cirella niemanden mehr zu fürchten, sagte er, denn er habe auf Ustica »neue, mächtigere Freunde« gefunden und sich einer »einflussreichen Vereinigung« angeschlossen.
    Welche »einflussreiche Vereinigung« sollte das sein? Ein Bluff? Oder wollte Paolo Agostino andeuten, er sei der sizilianischen Mafia beigetreten, nachdem er den Aspromonte verlassen hatte? Auf Ustica tummelten sich zum damaligen Zeitpunkt mehr sizilianische Mafiosi als gewöhnlich. Ob Agostino bluffte oder nicht, war den Romeo-Brüdern einerlei, denn ihr Entschluss, ihn zu eliminieren, stand fest. Als Paolo Agostino auch noch dreist gegen die Etikette der Ehrenwerten Gesellschaft verstieß, indem er einer zweiten Anhörung in der Sache fernblieb, setzten die Romeo-Brüder ihren Antrag durch, und Agostino wurde zum Tode verurteilt. Jetzt hatten die Romeo-Brüder eher ein praktisches Problem als ein politisches: Der Anschlag bedurfte der Planung – sie brauchten eine ausgeklügelte Falle und den passenden Köder.
    Während die Romeo-Brüder auf eine günstige Gelegenheit warteten, mussten sie sich mit Beleidigungen begnügen. Sie zerbrachen zum Beispiel Paolo Agostinos Grammophon während der Verlobungsfeier seines Stiefsohns Francesco Polito. (Nachdem er die Tochter des Bosses abgewiesen hatte, hatte Maria Marvellis Sohn endlich eine geeignete Braut gefunden, die wie er einer kriminellen Familie entstammte.) Nur die Anwesenheit der vielen Zeugen verhinderte, dass der Zwischenfall mit dem Grammophon in einem Blutbad endete.
    Falls Paolo Agostino nicht schon davor erkannt hatte, dass ihm die Zeit davonlief, erkannte er es jetzt. Er wurde düster. Unter Freunden nannte er sich wehmütig »einen Zugvogel, der bald fortfliegen müsse«. Er weigerte sich, seine Kinder zu verprügeln, damit sie ihn nicht in schlechter Erinnerung behielten. Seine Verzagtheit war nicht zu übersehen für Maria Marvelli, die sich im Haus um die Sicherheit ihres Mannes kümmerte und ihn nötigte, anderswo zu schlafen, sobald Gefahr drohte.
    Der erste Anschlag auf Agostinos Leben begann mit dem inszenierten Diebstahl seines Ochsen. Die Romeo-Brüder schickten ein paar Männer aus, das Tier aus dem Stall zu holen. Die Diebe waren

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