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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Prostitution als Überlebensstrategie war allgegenwärtig. Die
British Psychological Warfare Branch
( PWB ), eine Einheit zur psychologischen Kriegsführung, zu deren Pflichten es gehörte, sich über die Moral der Zivilisten auf dem Laufenden zu halten, schätzte, dass es in Neapel etwa 40 000  Prostituierte gab – etwa zehn Prozent aller Frauen. Doch nicht nur Frauen waren käuflich. »Zwei Dollar die kleinen Jungen, drei Dollar die kleinen Mädchen!«, hörte man Zuhälter in den Straßen den Soldaten zurufen, die unverhohlen die Kinder beäugten und begrabschten, die man ihnen in einer Reihe präsentierte. Was Wunder, dass sich zum Typhus und den übrigen Geißeln, die das befreite Neapel heimsuchten, auch noch Geschlechtskrankheiten gesellten.
    Auch die Kleptomanie grassierte in der Stadt. Was auch nur irgendwie zu gebrauchen war, verschwand: Telegraphendrähte, Abflussdeckel, Eisenbahnschienen, ganze Trambahnen. Angeblich fuhr sogar der Wagen eines Päpstlichen Legaten auf gestohlenen Reifen.
    Schieberbanden kontrollierten einen Großteil der Lebensmittelvorräte, die der »wunderbar fruchtbare Boden des Beckens rings um Neapel« hervorbrachte, wie es die PWB nannte. Die PWB erwähnte auch die »phantastischen Bedingungen für das Bandenwesen« zwischen Nola und der Küste im Norden der Stadt. Es gab bewaffnete Trupps, die sich oft aus Deserteuren zusammensetzten, aber mit viel Unterstützung rechnen durften in dieser »traditionellerweise gewalttätigen« Gegend: »Sie können auf die Hilfe einer ganzen Organisation zählen, die Prostituierte, Hehler, Schwarzhändler und so weiter umfasst.«
    Zu den schlimmsten Ganoven in Neapel gehörten reiche Industrielle, vor allem Hersteller von Teigwaren und Müller. Spaghettifabriken produzierten bald zwei Nudelsorten: eine gute für den Schwarzhandel und eine zweite, »fast schwarz und von unangenehmem Geschmack«, für den offiziellen Markt. Im März 1944 wurden Antonio und Giuseppe Caputo, die Betreiber einer der vier größten Mühlen Neapels im Industrieviertel San Giovanni a Teduccio, wegen Schwarzhandels zu sieben Jahren Haft verurteilt. Ermittler entdeckten in ihrem Haus Maschinenpistolen und Granaten.
    Einer von denen, die gemütlich auf dieser Welle der Illegalität trieben, zumindest einige Monate lang, war der Faschist Vito Genovese. »Faschist« allerdings nur, bis die Alliierten nach Kampanien vorrückten, woraufhin er seine unter Mussolini erworbenen Meriten ablegte wie einen alten Anzug und als Übersetzer und Fremdenführer für die Besatzer in eine neue Rolle schlüpfte.
    Im Mai 1944 erhielt ein Sergeant der Militärstrafverfolgungseinheit CID der US Army einen Wink und behielt Genovese von nun an im Visier. Vor dem Krieg hatte der fragliche Sergeant – Orange C. Dickey – auf dem belaubten Campus des Pennsylvania State College Wache geschoben. Sein neuer Einsatz führte ihn in das noch belaubtere, aber auch etwas gefährlichere Umland von Nola.
    Seinen ersten Erfolg feierte Sergeant Dickey, als er in einem Weingarten außerhalb von Nola auf einen Elefantenfriedhof aus ausgebrannten Militärfahrzeugen stieß. Zwei kanadische Soldaten gestanden ihm, sie hätten die Lastwagen samt ihrer unbezahlbaren Fracht aus Mehl und Zucker mit der unverschlüsselten Parole abgeliefert: »Genovese hat uns geschickt«.
    Ende August 1944 hatte Sergeant Dickey genügend Beweismaterial gesammelt, um eine Verhaftung vorzunehmen: Er schnappte sich Genovese, nachdem diesem durch den Bürgermeister von Nola eine Reisegenehmigung ausgestellt worden war. Ein Blick in die Brieftasche des Gangsters förderte mehrere enthusiastische Empfehlungsschreiben amerikanischer Offiziere in Nola zutage:
    »Mr. Genovese war über einen Monat lang mein Dolmetscher. Er wollte kein Geld nehmen für seine Dienste, zahlte seine Spesen selbst, arbeitete Tag und Nacht und war der Militärregierung der Alliierten eine höchst wertvolle Hilfe.«
    Trotz dieser Briefe und anderer alarmierender Beweise für Genoveses Einfluss innerhalb der US Army, sollten sich Sergeant Dickeys Ermittlungen als schwierig und letztlich fruchtlos erweisen. Nach Monaten, in denen offenbar niemand für den Fall die Verantwortung übernehmen wollte, wurde Genovese schließlich in die Vereinigten Staaten zurückgebracht, um sich wegen des Mordes, dessentwegen er ursprünglich nach Italien geflüchtet war, den Behörden zu stellen. Doch bereits einen vergifteten Zeugen später wurde er freigelassen, um seinen

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