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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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’Ndrangheta, und auch nicht Peppe Nirtas ’Ndrangheta! Wir sollten uns einig sein. Wer bleiben will, der soll bleiben. Wer nicht bleiben will, der soll gehen.«
    Abgesehen von der verschleierten Drohung in der letzten Zeile (was wäre wohl der Preis gewesen für ein Verlassen des Treffens?), klingt dieser Aufruf sehr höflich: die Unterweltversion von Friede, Freude, Eierkuchen. Die Polizisten und Richter, die das Montalto-Treffen zu beurteilen hatten, spürten, dass der Appell in Wirklichkeit höchst bedeutsam war. Doch ehe die Beamten noch mehr herausfinden konnten, zogen die wenigen Männer, die auf dem Montalto verhaftet worden waren und gestanden hatten, ihre Aussagen zurück: Sie seien von der Polizei schikaniert worden, behaupteten sie. Wie fast immer der Fall im ersten Jahrhundert der Geschichte des organisierten Verbrechens in Italien, waren diese überaus wichtigen Zeugen von den Behörden, die mit dem Fall betraut waren, nicht angemessen unterstützt und beschützt worden; niemand wird jemals erfahren, was sie uns noch alles über die ’Ndrangheta hätten erzählen können. Stattdessen stimmten sie in den Chor derer ein, die behaupteten, sie hätten Pilze gesammelt.
    Man muss es dem Richter, einem gewissen Guido Marino, hoch anrechnen, dass er in diesem Fall die schwachen Alibis nicht gelten lassen wollte. Auch nahm er die Behauptung der Verteidigung nicht sonderlich ernst, dass die ’Ndrangheta nichts anderes sei als der Rotarier- oder der Lionsclub. Richter Marino meinte es ernst. Er äußerte einige vernichtend kritische Sätze über die Art und Weise, wie der Kampf gegen die ’Ndrangheta geführt wurde. Die Ermittlungen seien »oberflächlich« und »planlos«, was zur Folge habe, dass die Mafia vor Gericht »schwer zu fassen« sei. Anstatt sich auf »solide und geduldige« Ermittlungsarbeit zu stützen, setze die Polizei allzu oft auf Abmahnungen und auf Zwangsexil. Diese Präventivmaßnahmen seien gänzlich kontraproduktiv, sagte er. »Sie wirken wie ein Stärkungsmittel in den Körpern dieser kriminellen Gesellschaften, die heute kräftiger und effizienter sind denn je.«
    In gleicher skandalöser Manier wurde seit Bestehen eines geeinten Italien verfahren. Wie überall im Süden gediehen die Mafiaorganisationen auch in Kalabrien unter den unausgegorenen Taktiken, die sie eigentlich eindämmen sollten.
    Raffiniert griff Richter Marino sich den Aspekt des Montalto-Treffens heraus, der ihm vermutlich am unverfänglichsten erschien: die »formalistische« und »pedantische« Diskussion über das Prozedere. Seiner Ansicht nach ging daraus eindeutig hervor, dass die ’Ndrangheta eine »institutionalisierte« Vereinigung war. Überdies, so Richter Marino weiter, zeige die Debatte der Gangster über gemeinsame Traditionen, dass die Welt des organisierten Verbrechens in Kalabrien weit mehr sei als ein paar verstreute Einzelbanden. Es gebe nur
eine
’Ndrangheta,
eine
kriminelle Organisation mit einer langen Geschichte. (Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch niemand, wie lang diese Geschichte bereits währte.)
    Es gibt hier einen augenfälligen Gegensatz zur »Invasion der Marsianer« von 1955 , als die Behörden in Kalabrien nur ein flüchtiges Interesse an Geschichte und Struktur der ’Ndrangheta an den Tag legten. Richter Marinos Verfügung ist ein erster kleiner Hinweis, dass das italienische Rechtssystem eine Menge lernen könnte, wenn es die Mafiaorganisationen in Kalabrien und Sizilien als das behandeln würde, was sie waren: kriminelle Geheimbünde, die seit Jahrzehnten in die Gesellschaft integriert waren.
    Richter Marino war so erpicht darauf, die Geheimnisse der ’Ndrangheta zu ergründen, dass er über ihre zwei mächtigsten Bosse, die im Montalto-Treffen genannt waren, Biographien verfasste. Diese Biographien – die allerersten detaillierten Porträts zweier führender Mitglieder der ’Ndrangheta – sind einer näheren Betrachtung wert.
    Einem der Bosse sind wir bereits begegnet: Don ’Ntoni Macrì aus Siderno, der vor der Operation Marzano 1955 angeblich den Bischof von Locri davor bewahrt hatte, von einer Bande rachsüchtiger Priester ermordet zu werden. Don ’Ntoni war 1904 in Siderno geboren. Als er 40 war, residierte er in Glanz und Gloria und brachte die örtlichen Landbesitzer dazu, seine Gefolgsmänner in ihren Olivengärten als Wachposten einzustellen. Er passte die Preise für Zitrusfrüchte den eigenen Bedürfnissen an, da er selbst mit landwirtschaftlichen Produkten Handel

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