Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
diese Regeln regelmäßig gebrochen werden – die Signale, die Mafiosi aussenden, indem sie sie brechen. Riina verstand es meisterhaft, die eigene Gebietshoheit zu wahren, gleichzeitig aber Signale auszusenden, die jene der anderen untergruben. Eines dieser Signale war Mord.
Im Januar 1974 wurde ein pensionierter Polizeibeamter namens Angelo Sorino in San Lorenzo erschossen, einem Ort in der Piana dei Colli. (Er hatte, pflichtbewusst, seine ehemaligen Kollegen bei ihren Ermittlungen gegen Riinas Verbündete unterstützt.) Wer auch immer für Sorinos Tod verantwortlich war, hatte die Kommission der Cosa Nostra nicht ordnungsgemäß darüber informiert. Die Polizei, die vom Prinzip der Gebietshoheit ausging, kannte den Schuldigen: Filippo Giacalone, Boss der Familie, in deren Territorium sich der Tatort befand. Giacalone, ein Freund Stefano Bontates, wurde auch prompt verhaftet. Selbstverständlich war Giacolones Schuld auch unter seinesgleichen in der Cosa Nostra klar erwiesen. Während er im Gefängnis saß, forderte Bontate im Auftrag der Kommission eine Erklärung von ihm.
Wie sich herausstellte, hatte Angelo Sorinos Tod nicht angeordnet; er musste nur als Sündenbock in einer weitaus größeren Intrige herhalten. Sobald er freikam und Zeit hatte, Nachforschungen anzustellen, ließ er Bontate wissen, dass ein Killer der Corleoneser, ein gewisser Leoluca Bagarella, den Mord verübt hatte. Doch bevor Bontate diese Information an die Kommission weitergeben konnte, verschwand Giacolone. Sein Sitz in der Kommission ging an den Boss der benachbarten Resuttana-Familie, Freunde der Corleoneser.
Der Sorino-Mord diente zweierlei Zwecken: Er rettete einen Freund Riinas vor der Gefahr und war zudem ein überdeutlicher Beweis für Bontates und Badalamentis politische Schwäche.
1977 verübten die Corleoneser einen weiteren Mord, der zweierlei Ziele verfolgte. Sie töteten auf ihrem eigenen Territorium einen ehrgeizigen Oberst der Carabinieri und entledigten sich auf diese Weise einer Gefahr für ihre Interessen. Weil sie es aber versäumten, die Kommission im Vorfeld um Erlaubnis zu fragen, brüskierten sie ihre Gegner erneut.
Nachdem sie Entführungen und Morde dazu benutzt hatten, die von Bontate und Badalamenti kontrollierte Kommission zu diskreditieren, gingen die Corleoneser daran, die Macht an sich zu reißen. Mittlerweile hatten sie bereits einen gewichtigen Verbündeten: den Boss von Ciaculli, Michele Greco, genannt der »Papst«, der Bontate mit scheinbar vernünftigen Erklärungen für das Gebaren der Corleoneser geschickt Sand in die Augen streute. Hinter Michele Grecos Vertuschungsmanöver wechselten immer mehr Bosse auf Riinas Seite.
1978 wurde das Ausmaß des Corleoneser Einflusses innerhalb der Kommission für alle offenkundig, als Tano Badalamenti, der Boss der Bosse, aus der Cosa Nostra ausgeschlossen wurde – eine Sensation. Badalamenti hatte es vermutlich versäumt, alle am lukrativen Heroingeschäft zu beteiligen. Ausgestoßen – Mafiosi benutzen das Wort
posato
, »abgelegt« – zu werden, ist eine seltene, häufig nur vorübergehende Sanktion. Für Männer, die sich um einen Mord mehr oder weniger nicht den Kopf zerbrachen, war dies eine betont milde Strafe. Riina gab vor, sich an die traditionellen Regeln der Cosa Nostra zu halten; er zeigte, wie vernünftig er war. Entsprechend war es Michele der »Papst« Greco, ein Mann der Vernunft, der als Provinzrepräsentant Badalamentis Platz einnahm. Greco war kaum mehr als ein Strohmann für die Macht der Corleoneser.
Im selben Jahr trieben die Corleoneser erneut ihr Spiel mit den Regeln der Gebietshoheit. Ein Trupp Corleoneser Killer erschoss Giuseppe Di Cristina, einen Boss, der Stefano Bontate besonders nahestand. Entscheidend dabei war, dass der Mord auf dem Territorium eines anderen Bontate-Verbündeten stattgefunden hatte, des
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Salvatore Inzerillo. Die Killer ließen sogar das Auto stehen, das beim Mord auf Inzerillos Gebiet benutzt worden war. Die Botschaft hinter dem Mord demütigte einen wichtigen Bontate-Verbündeten, der zudem eine zentrale Rolle im Transatlantischen Syndikat spielte. Di Cristinas Tod zeigte auch, dass die Ambitionen der Corleoneser nicht auf die Provinz Palermo beschränkt waren. Di Cristina, Sohn und Enkel von Mafiabossen, stammte aus der Stadt Riesi, im Landesinneren der Insel in der Provinz Caltanissetta gelegen.
Nach Zentralsizilien kam die Stadt Catania im Osten an die Reihe. Im September 1978 wurde Pippo
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