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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Mafioso« sei, zumal ihn mit den Männern der Mafia die Sehnsucht nach dem »Prestige« verbinde, das die Macht verleihe und von dem er geradezu besessen sei. Heutzutage mutet es seltsam an, dass ein römischer Schriftsteller als Experte für die Komplexität der Mafia gelten konnte. Doch in Moravias Unkenntnis spiegelte sich der erschütternd unaufgeklärte Zustand der Öffentlichkeit in dieser Schlüsselphase der 100  Jahre alten Mafiageschichte.
    Die Polizei selbst hatte zwar mehr Wissen als Moravia, brachte aber kein Licht in die Angelegenheit. Der Leiter des Überfallkommandos sagte nur: »Was hier stattfindet, ist eine Blutorgie: Wenn der Krieg erst vorüber ist, begreifen wir das neue Gleichgewicht der Kräfte.« Dies war die traditionelle Haltung der Polizei zum regelmäßigen Aderlass innerhalb der kriminellen Elite Palermos: warten, bis keine Schüsse mehr fielen, die Leichen zählen und auf Hinweise hoffen.
    Doch die Schüsse fielen weiter. Die Zeitung wurde zum täglichen Schreckensverzeichnis. Leichen, die inmitten von Blutlachen auf der Straße lagen, die zusammengesackt über der Ladentheke hingen oder zwischen brennendem Abfall auf Müllhalden deponiert worden waren. Antonino Ciaramitaro lag im Kofferraum eines Wagens, auf zwei Plastiktüten verteilt – eine enthielt den Rumpf, die andere den Kopf. Giovanni Prestigiacomo wurde erschossen, als er seinen Fiat  1100 parkte. Seine Frau hörte die Schüsse und rannte zu ihm. »Du darfst nicht sterben!«, schrie sie ein ums andere Mal, als längst alles Leben aus der von Kugeln durchsiebten Leiche gesickert war, die sie in den Armen hielt.
    Verzweifelt um Gewissheiten bemüht, versuchten die Zeitungen die Toten zu zählen. 70  Leichen in den sechs Monaten zwischen April und Oktober 1981 ; 148 zum Jahresende. Doch die
lupara bianca
(»weiße Schrotflinte«: Mordfälle, bei denen die Opfer spurlos verschwinden und ihre Leichen nie gefunden werden) erschwerte das Zählen. 112  Vermisste in den ersten neun Monaten des Jahres 1982 , dazu 108  Morde. In Wahrheit waren die Zahlen nur ein Schleier für die Ratlosigkeit.
    Wir wissen jetzt, dass es sich bei dem, was damals vor sich ging, nicht etwa um einen Mafiakrieg handelte, sondern um ein gezieltes Vernichtungsprogramm. Riina beseitigte systematisch seine Feinde und alle, die ihnen nahestanden. Am Tag nach Inzerillos Ermordung lud der Boss, der in Santa Maria di Gesù in Stefano Bontates Fußstapfen getreten war, die sechs loyalsten Soldaten des toten
capo
zu einem Treffen ein, um mit ihnen die Lage zu besprechen. Vier von ihnen gehorchten und wurden nie mehr gesehen: Der neue Boss war von Riina eingesetzt worden.
    Der Drogenhändler Gaspare Mutolo alias »Mister Champagne« wurde Zeuge bei dem, was als Nächstes geschah. Emanuele D’Agostino, einer der beiden Männer, die klugerweise beschlossen hatten, dem Ruf des neuen Bosses von Santa Maria di Gesù nicht zu folgen, tauchte unter. Er suchte Zuflucht bei Rosario Riccobono, Mutolos
capo
. Riccobono war stets bemüht gewesen, eine neutrale Haltung im Machtkampf der späten siebziger Jahre zu wahren. Doch der anfängliche Erfolg des Corleoneser Vorstoßes brachte ihn zu der Überzeugung, dass es an der Zeit war, Farbe zu bekennen: Er tötete D’Agostino als ein Zeichen für seine neugefundene Loyalität gegenüber Totò Riina. Nur für den Fall, dass Riina weitere Beweise brauchte, stellte Riccobono auch D’Agostinos Sohn eine Falle, indem er ihn bat, saubere Kleidung zum Versteck des Vaters zu bringen. Der Sohn folgte dem Vater in ein seichtes Grab.
    Ein paar Wochen später fuhr der einzige Überlebende von sechs Bontate-Soldaten, ein Mafioso namens Totuccio Contorno, mit einem Freund seines elfjährigen Sohnes auf dem Beifahrersitz durch Brancaccio. Plötzlich kam ein schweres Motorrad aus einer Nebenstraße gebogen, und der Sozius beharkte den Wagen im Vorüberfahren mit Feuer aus einer Kalaschnikow. Contorno stieß den Jungen aus dem Wagen (wie durch ein Wunder war er nicht getroffen worden) und erwiderte das Feuer, ehe er flüchtete. Totuccio Contorno würde mit der Zeit ein wichtiger Zeuge werden und den Ermittlern helfen, die Dynamik des großen Schlachtens zu rekonstruieren.
    Kaum hatten die Corleoneser die aktiven Mitglieder des gegnerischen Lagers beseitigt, gingen sie an die Ermordung ihrer Verwandten. Santo Inzerillo, der Bruder des ermordeten
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Salvatore, wurde stranguliert, als er versuchte, Riina ein Friedensangebot zu unterbreiten.

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