Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
weiter linientreu und produzierten langweilige, tendenziöse Berichte, die offenbar darauf angelegt waren, jungen Menschen die Demokratie ein Leben lang zu verleiden.
Das Ende der alten Ideologien tötete die wenigen Antikörper Italiens gegen die alten politischen Krankheiten Patronage, Klientelismus und Korruption. Die gewählten Vertreter des Landes schienen immer mehr ihrem eigenen Zerrbild zu entsprechen: Sie waren eine selbstsüchtige »Kaste«, abgeschottet von der Bevölkerung hinter den getönten Scheiben ihrer blauen, staatlich finanzierten Luxuslimousinen. Unterdessen blieben die Probleme des Landes ungelöst.
Während der Zweiten Republik wurde der Kampf gegen die Mafias fortgesetzt, aber größtenteils
trotz
des politischen Systems, nicht
wegen
ihm. Seltsamerweise konnten dennoch einige recht außergewöhnliche Erfolge erzielt werden, die außergewöhnlichsten davon in Sizilien. Wenn es zwischen 1992 und 1994 tatsächlich zu einem Abkommen des Staates mit der Cosa Nostra kam, dann sind heute fast alle Bosse, die dieses Abkommen trafen, in Hochsicherheitsgefängnissen untergebracht. Seit der Verhaftung Totò Riinas schlittert die Cosa Nostra langsam in die schlimmste Krise seit ihrem Bestehen.
7 DIE ZWEITE REPUBLIK UND DIE MAFIAS
Cosa Nostra: Das Haupt der Medusa
Seit der Festnahme Totò Riinas im Jahr 1993 haben Siziliens Antimafia-Richter, Polizisten, Carabinieri und Beamte der
Guardia di Finanza
eine Reihe von Siegen über die Cosa Nostra errungen, die in der Geschichte beispiellos sind. Die faschistischen Schläge gegen die sizilianische Mafia in den zwanziger und dreißiger Jahren waren im Vergleich dazu ungeschickt, oberflächlich und nicht von Dauer. Die Cosa Nostra zahlt weiter einen sehr hohen Preis für ihren Krieg gegen den Staat zwischen 1979 und 1993 .
Jeder Mafioso akzeptiert einen gewissen Zeitraum hinter Gittern als Berufsrisiko. Und doch tut er alles, was in seiner Macht steht, um einer Verurteilung zu entgehen: Zeugen werden eingeschüchtert oder die richtigen Strippen gezogen, damit Richter zu seinen Gunsten entscheiden. Sollte er dennoch das Pech haben, für schuldig befunden zu werden, bleibt einem Mafioso immer noch die Möglichkeit der Flucht. Doch wie wir gesehen haben, suchen nur wenige flüchtige Mafiosi in Sizilien tatsächlich das Weite. Die meisten tauchen einfach unter, und zwar in ihrem eigenen Revier, legen sich eine falsche Identität zu und führen ihre kriminellen Geschäfte weiter wie zuvor. In den frühen 1990 er Jahren gab es auf Sizilien Hunderte dieser Flüchtigen; unter ihnen waren die Bosse, die für die schlimmsten Vergehen der Cosa Nostra verantwortlich waren. Die Unsichtbarkeit tat ihrem Charisma keinen Abbruch, im Gegenteil: Es entstand um sie herum eine Art Aura – gleichermaßen attraktiv für Mafiosi wie für das allgemeine Volk. Sie waren der lebende Beweis für das Unvermögen des italienischen Staates, dem Gesetz Geltung zu verschaffen, die Urteile, die die Gerichte gefällt hatten, tatsächlich in jahrelange Gefängnisaufenthalte zu verwandeln.
Schon vor dem Mammutprozess wusste die Cosa Nostra genau, wie sehr jeder ernsthafte Versuch, die Flüchtigen aufzuspüren, ihre Autorität in Frage stellte. Aus diesem Grund ermordeten die Bosse 1985 Beppe Montana, ein Mitglied des mobilen Einsatzkommandos der Polizei. Sein Tod – er wurde in der Badehose erschossen, als er in seiner Freizeit flüchtigen Mafiosi nachspürte – steht sowohl für das Engagement als auch die Verwundbarkeit all jener, die in den blutigen achtziger Jahren gegen die Cosa Nostra zu Felde zogen.
Giancarlo Caselli war jener Piemonteser Oberstaatsanwalt, der nach dem Mord an Paolo Borsellino 1993 den Schleudersitz in Palermo übernahm und bis 1999 die Stellung halten würde. Er erklärte sofort die Festnahme der flüchtigen Verbrecher aus der Cosa Nostra zur obersten Priorität und hatte eine Liste mit ihren Namen in der Schreibtischschublade. Sobald einer festgenommen wurde, strich er seinen Namen mit grüner Tinte durch. Am Ende von Casellis Amtszeit in Palermo waren über 300 Namen durchgestrichen.
Pentiti
gaben Informationen weiter, die zur Gefangennahme untergetauchter Bosse führten, von denen einige sich wiederum als Kronzeugen zur Verfügung stellten und weitere wertvolle Hinweise lieferten.
Die Kette von Treuebrüchen war nicht die einzige Waffe der Behörden. In den neunziger Jahren wurde die Verfolgung flüchtiger Mafiosi dank neuer technischer Hilfsmittel immer
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