Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
wir nicht bereit sind, einen Beitrag zu leisten, und uns in den Schutz der Polizei begeben haben. Ich habe diese Fabrik mit eigenen Händen aufgebaut, und ich habe nicht die Absicht, sie zu schließen.«
Grassis Anliegen fand beschämend wenig Rückhalt. Die Unternehmer in der Nachbarschaft ließen ihn wissen, dass er seine schmutzige Wäsche gefälligst daheim waschen solle, wie alle anderen. Ein einziger Geschäftsmann bekundete ihm in einem Brief seine Solidarität. Im April 1991 jedoch erhielt Grassi die Gelegenheit, seine Kampagne im Fernsehen zu führen und in einer beliebten politischen Talkshow vor einem Millionenpublikum das System der Schutzgelderpressung und die Omertà, die es umgab, zu erklären. Damit wurde er zum bedrohlichen Symbol der Antimafia-Bewegung und zeugte von der Schwäche des Bosses, auf dessen Territorium seine Fabrik stand. Am 29 . August 1991 trafen Libero Grassi, als er sein Haus verließ, um zur Arbeit zu fahren, fünf Schüsse ins Gesicht.
Nach seiner grausamen Ermordung fassten viele den Entschluss, dass Personen, die sich gegen die Erpresser wehrten, auf keinen Fall im Stich gelassen werden dürften. Der italienische Verband der Gewerbetreibenden
Confesercenti
gründete noch im selben Jahr in Palermo eine Selbsthilfegruppe gegen Schutzgelderpressungen namens
SOS
Impresa
. 1997 urteilte der Oberste Gerichtshof, es sei illegal, Schutzgeld zu bezahlen. Jeder Bürger sei verpflichtet, Schutzgelderpresser bei den Behörden anzuzeigen, niemand könne sich darauf berufen, dass er gezwungen werde zu zahlen. 2004 wurde das Erbe Libero Grassis und anderer Pioniere der Anti-Erpressungs-Bewegung von einer Gruppe junger Palermitaner aufgegriffen, die eine Organisation namens
Addiopizzo
(Schutzgeld, ade) gründeten. Ihre Idee war frisch und wunderbar einfach: Unternehmer, Laden- und Restaurantbesitzer sowie Hoteliers unterzeichneten eine öffentliche Selbstverpflichtung, Unternehmen zu fördern, die nicht zahlten. Ziel war ein Bündnis zur gegenseitigen Stärkung zwischen sauberen Unternehmen und ehrlichen Konsumenten.
Andere folgten dem Beispiel von
Addiopizzo
. Im September 2007 verkündete die sizilianische Niederlassung von
Confindustria
(der italienische Arbeitgeberverband), dass man jedes Mitglied ausschließen werde, das Schutzgeld bezahlt oder es versäumt habe, die Behörden in Kenntnis zu setzen. Die Zeiten, als führende sizilianische Geschäftsleute zu murren pflegten, der Kampf gegen die Mafia ruiniere die Wirtschaft des Landes, waren endlich Geschichte.
Dafür Sorge zu tragen, dass kein Schutzgeld gezahlt wird, ist keine leere Geste: Es funktioniert tatsächlich. Ein reuiger Mafioso aus der Familie von Santa Maria di Gesù hat unlängst erklärt, warum Mafiosi ihre Finger von Unternehmen lassen, die ihren Widerstand öffentlich machen:
»Wenn ein Ladenbesitzer Mitglied von
Addiopizzo
oder einer ähnlichen Vereinigung ist, lassen wir ihn in Ruhe. Das macht nur Ärger. Wenn er zur Polizei geht, dann hat man Ermittlungen am Hals, Abhörgeräte und so, das sparen wir uns.«
Die Rebellion gegen die Schutzgelderpressung ist für die Cosa Nostra möglicherweise lebensbedrohlich. Ende November 2007 taten Mafiosi mit einer geräuschvollen Einschüchterungsaktion ihre Besorgnis über die Haltung der
Confindustria
kund: In der Stadt Caltanissetta im Inneren Siziliens wurden die Büroräume des Arbeitgeberverbands verwüstet und etliche CD s mit den Namen und Adressen seiner Mitglieder gestohlen.
Trotz der Drohungen ist in Palermo eine positive Dynamik entstanden. Da mehr Unternehmen zur Polizei gehen, sobald sie Schutzgeldforderungen erhalten, werden mehr Mafiosi verhaftet, und die Behörden sowie die Verbände zur Erpressungsbekämpfung können den Beweis erbringen, dass der Schulterschluss mit Personen, die sich wehren, immer besser gelingt – mit dem Ergebnis, dass weitere Unternehmen sich vertrauensvoll an die Polizei wenden, sobald sie Schutzgeldforderungen erhalten.
Überdies wird das Beispiel Palermos, wie so oft in unserer Geschichte, auch andernorts aufgegriffen. Die Vereinigungen zur Erpressungsbekämpfung, die in Sizilien ihren Anfang nahmen, haben sich verbreitet. So weitete
Confindustria
zum Beispiel im Januar 2010 ihre Politik, Mitglieder auszuschließen, die mit Gangstern Geschäfte machten, auf ganz Italien aus.
Die Jagd nach flüchtigen Mafiosi hat sowohl in Kampanien als auch in Kalabrien entscheidende Erfolge gebracht. Viele mächtige Bosse der Camorra und
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