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Omka: Roman (German Edition)

Omka: Roman (German Edition)

Titel: Omka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Aschenwald
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kleine Tiere nach Luft ringen, und sie hielt den Atem an, um zu hören, ob es nicht ihr eigener war oder Josefs oder der Wind. Aber sie konnte es nie genau sagen.
     
    Einmal an einem Nachmittag, der schon Abend werden wollte, fuhr sie mit dem Fahrrad an einer Kirche vorbei, es begann gerade zu regnen. Sie beschloss, hineinzugehen, stellte das Rad ab und drückte die schwere Pforte auf. Drinnen war es kühl, still und dunkel und roch nach altem Stein. Sie war konfessionslos aufgewachsen, kannte keinen Ritus und kein Gebet, und ohne genau zu wissen, was sie überhaupt in der Kirche machte, setzte sie sich in eine Bank. Die hohen, bunten Glasscheiben gefielen ihr, und die alten Mauern beruhigten sie. Sie sah Statuen von Menschen, die Sägen und Kreuze hielten, und einen Mann, dem Pfeile aus der Brust, den Beinen und dem Hals ragten, und er tat ihr leid. Manche von ihnen hoben einen Zeigefinger zum Himmel und schlossen dabei Mittelfinger und Daumen zu einem Kreis, in der Mitte der Kirche hing ein bleicher Gekreuzigter auf einem dunklen, übergroßen Holzkreuz, dem das Blut aus vielen Wunden floss, sodass man die einzelnen Tropfen wie Perlen den Beinen und Armen entlangrinnen sah. Am Altar stand ein Mann und löschte die Kerzen aus. Er trug eine lange Stange in der Hand und schritt die einzelnen Kerzen ab, die hoch oben in Leuchtern entzündet waren, und löschte eine nach der anderen. Als er fertig war, bemerkte er Omka, die in der Kirchenbank saß wie ein aufgepfropfter Ast, sah auf die Uhr und sagte: »Wenn Sie beichten wollen, sind Sie spät dran, meine Liebe. Der Priester ist im Begriff zu gehen, aber wenn Sie möchten, kann ich ihn noch holen.«
    Omka merkte erst nicht, dass der Mann sie gemeint hatte, zuckte kurz in sich zusammen, sah ihn an und nickte ihm stumm zu wie zum Gruß, und der Mann stellte die Stange ab und ging eiligen Schrittes davon. Nach einiger Zeit ging die vordere kleine Tür auf, und ein hochgewachsener, dünner Priester kam heraus mit einer Nase wie ein Haken und gütigem, mildem Blick. Er kam direkt auf Omka zu und wies mit einer Hand zum Beichtstuhl, öffnete die Tür, und Omka stand schnell auf und nahm im Beichtstuhl Platz. Sie war erschrocken über ihre eigene Kühnheit, denn weder hatte sie eine Ahnung, wie man beichtete, noch, wie man betete. Ihre Mutter hatte sich damals entschieden, sie konfessionslos zu erziehen. Das Kreuzzeichen konnte sie schlagen, aber es würde dem Pfarrer bestimmt sofort auffallen, dass sie noch nie gebeichtet hatte, und er würde glauben, sie wolle ihn zum Besten halten und ihm nur die Zeit stehlen. Die Tür schloss sich, und ein kleines, vergittertes Fensterchen öffnete sich. In das Metall waren kleine Kreuze eingestanzt, sodass man das Gesicht nicht genau erkennen konnte. Omka wusste nicht, was sie sagen sollte. Das Gesicht oder was sie davon sah, schaute sie an und zog die Brauen hoch.
    »Gelobt sei Jesus Christus«, sagte der Priester.
    »Ich« … sagte sie, »ich … war noch nie hier. Ich … weiß nicht, was ich sagen soll.«
    Das Rauschen des Regens war leise zu hören. Der Pfarrer war an Leute wie sie mittlerweile gewöhnt und sagte: »Nun ja. Das macht nichts. Möchten Sie ein klassisches Beichtgespräch führen, dann antworten Sie mit ›In Ewigkeit, amen‹, und dann ist der erste Satz ›Vater, vergib mir, denn ich habe schwere Schuld auf mich geladen‹. Wenn Sie das nicht wollen, können Sie auch einfach erzählen, was Sie bedrückt und welche Sünden Sie begangen haben, und der Herr wird Ihnen vergeben. Wissen Sie, die meisten Menschen sind nicht mehr vertraut mit dem klassischen Ablauf einer Beichte.«
    Einen Moment lang war es still.
    Omka überlegte. »Können Sie vielleicht noch einmal …«
    »Gelobt sei Jesus Christus«, sagte der Priester.
    »In Ewigkeit. Amen«, sagte Omka. Dann sagte sie: »Vater, vergib mir, denn ich habe schwere Schuld auf mich geladen.«
    Erfreut darüber, dass ihr offenbar wenigstens am Ritus gelegen war, richtete sich der Pfarrer auf und sagte nach einer kurzen Pause: »Kind, bringen Sie Ihre Schuld vor Gott und sie wird Ihnen vergeben. Was möchten Sie beichten?«
    Es dauerte einige Zeit, bis sie begann zu sprechen. In der Luft hing der leichte Geruch von Weihrauch, altem Stein und ausgeblasenen Kerzen, und es war kalt. »Ich habe vier Kinder verloren«, sagte Omka. Der Ort, an dem sie sich befanden, führte dazu, dass der Priester hörte, dass sie die Tötung unschuldigen Lebens im Mutterleib beichten

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