Omka: Roman (German Edition)
Einrichtung, eine Sekretärin, eine Putzhilfe – und dass man in seiner Kanzlei wohne, wäre höchstens eine Übergangslösung. »Ich weiß, ich weiß«, dachte Omka, und »er meint es nur gut«.
Omka war in der Schwebe. Sie fühlte sich leicht, frei und zugleich traurig. Obwohl sie weder Josef noch Jonas wirklich vermisste, fehlten sie ihr, einfach, weil sie es nicht gewohnt war, allein zu sein. Wenn sie in der Nacht den Schonbezug vom Sofa nahm und ihr Federbett darauf ausbreitete, sich hinlegte und die digitalen Zahlen des Weckers rot blinken sah, auf der Straße den Verkehrslärm hörte und die unbekannte Zimmerdecke ansah, dachte sie sich: »Das ist sie, die Wirklichkeit.«
In dieser Nacht träumte sie von einem Drachenwagen. Er war aus Gold mit zwei großen, achtspeichigen Rädern, und er glänzte. Sie stand aufrecht darin, trug ein Gewand, das nur eine Brust bedeckte, und ihre Haare flogen im Wind wie in einem schlechten Film. Zwei feuerrrote, dünne Drachen zogen den Wagen, sie hatten Flügel, lange Zungen, gelbe Augen und schnaubten kleine Wolken in die Luft. Sie bogen ihre langen, dünnen Hälse. Omka hielt eine goldene Peitsche und schlug auf sie ein, sodass sie zornig kreischten und schneller liefen. Unter ihr jagten die Wolken dahin, und wenn sie aufrissen, sah sie weit unter sich die Erde, und alles darauf war winzig klein, wie in einer Puppenstube, die Getreidefelder, die Städte, die Wasser. Sie lachte laut und böse auf, die Drachen schlugen ihre Klauen in die Wolken und preschten mitsamt dem Gefährt quer durch die Luft, Omka bemerkte um ihren Bauch eine dünne, graue Schnur, die ihr die Luft nahm und sie drückte, sie versuchte, mit ihren Fingern unter sie zu kommen, und als sie sie zu fassen bekam und daran zog, bemerkte sie, dass es eine dünne, silberne Schlange war, die sich wehrte, sich festhielt und sie böse anzischte. Omka hatte keine Angst vor ihr, sie drückte ihr den Daumen ins offene, weiße Maul und zog sie mit Leichtigkeit von sich; die Schlange wand sich und versuchte, Omka zu beißen, aus den zwei langen Zähnen lief eine weiße Flüssigkeit. »Gift«, dachte sie, »das ist Gift.« Und sie warf die Schlange in einem weiten Bogen vor sich in die Luft und schrie laut auf: » FEUUUUUUER !« Da drehte ein Drache seinen langen Hals und spie eine Lohe, in die die Schlange fiel und verbrannte. Ein kurzer Schauer überlief Omka, denn offenbar taten die Drachen, was sie wollte. Omka lachte laut auf und fuhr in ihrem Wagen weiter, und in diesem Moment besaß sie ihr Leben, auch wenn sie nur träumte. Die zwei Drachen, deren Schuppen rot und golden glänzten, schlugen ihre Klauen in die Wolken und stemmten die Beine hinein, sodass sich der Wagen verlangsamte und dann sanft aufsetzte.
Als sie wach wurde, wusste sie erst nicht, wo sie war. Aber dann stand sie aus dem Bett auf, sah aus dem Fenster, und da war das Krankenhaus. Alles fiel ihr wieder ein. Sie fuhr in den Baumarkt, um einzukaufen, was sie für die Wohnung noch brauchte. Der Weg dorthin war nicht weit, das Gewerbegebiet nur zwei Kilometer entfernt. Es war hässlich, bunt und trostlos. Im Baumarkt dauerte es lange, bis Omka die Abteilung mit dem Heimwerkerbedarf fand – am Weg dorthin sah sie pastellfarbene Gartenzwerge, bunte Glaskugeln, lustige Vogelscheuchen mit Schleifchen um und einem Schild in den Händen, auf dem »Willkommen« stand, übergroße Marienkäfer aus Plastik mit roten Wangen und grinsenden Gesichtern und Zimmerbrunnen mit Stromkabeln, die farbig leuchteten. An der Kasse, wo sie vorbeimusste, lag eine Broschüre, auf der »Machen Sie aus Ihrem Garten ein Paradies!« stand. Darauf war eine glücklich lächelnde Frau mit einem Glas mit Schirmchen in der Hand abgebildet, die in einem Liegestuhl im Garten lag, umgeben von den Marienkäfern, den Glaskugeln, links neben ihr die Vogelscheuche und im Gras um die Liege die Gartenzwerge. Aufgeschwollene, grellfarbige Stiefmütterchen blühten vor ihr im Beet und der orangefarbene Ziermulch bedeckte die Beete. »Paradies«, dachte Omka, als sie den Wagen vor sich herschiebend die Reihen entlangging. Sie kaufte, was sie für die Kanzlei zu brauchen glaubte, Wandfarbe, Putzmittel, Werkzeug, Schrauben und ein Bücherregal. Aus den Lautsprechern kam Musik, es klang fröhlich und aufgeregt, und dazwischen sagte eine Frauenstimme immer wieder: »Wahnsinn! Wahnsinn! Wahnsinn! Wahnsinn!« Am Weg zur Kasse kam sie nochmals bei den Wandfarben vorbei, und ihr Blick fiel auf
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