Omka: Roman (German Edition)
er einen Kakao mit Schlagsahne trinken wollte, damit er aufhörte zu weinen, meinte sie, wieder etwas gehört zu haben, verwarf aber den Gedanken. Ihr fiel ein, wie sie Josef kennengelernt hatte. Wie er zu ihr ins Krankenhaus gekommen war, sie mitgenommen hatte. Das dumme Geschwätz überall, dass sie von sich glauben würde, eine Nixe an Land zu sein. Und plötzlich, klammheimlich, kam ihr der Gedanke, wie schön es wäre, wenn es doch tatsächlich so wäre. Die Vorstellung, dass sie ein Wassergeist wäre, freute sie. Und da wollte sie untertauchen, obwohl sie wusste, dass sie ertrinken würde, weil sie einfach keine Nixe war, sondern nur Mensch ohne Flossen und Kiemen, und dass sie unter Wasser keine Luft bekam.
Jonas hockte vor der Küchentür und steckte seine Hände in Omkas Handtasche. Sie drehte sich zu ihm um, in einer Hand hatte sie den Topf, den sie von zu Hause mitgebracht hatte und der sonst immer dazu verwendet wurde, Milch zu kochen oder Wasser. Jonas sah zu ihr hoch, sie holte aus und schlug den Topf seitlich an den Kopf des Kindes, das ohne einen Laut niedersank und auf dem grauen Teppich liegenblieb. Dann blieb alles einen Moment lang still. An der Schläfe von Jonas buchtete sich die Haut schnell aus und drückte sich hoch. Omka sah ungläubig auf den Kleinen, der am Boden lag, friedlich, ruhig und, wie sie fand, schön. Er war wirklich ein schönes Kind. Mit einer Plastiktüte erstickte sie ihn. Er blieb dabei ruhig liegen, weil er nicht bei Bewusstsein war und sich nicht wehrte. Es war für Omka, als würde er dem, was passierte, zustimmen, obwohl er keine Wahl hatte und nur ein Kind war. Sie schaute zu, wie Jonas ein- und ausatmete, das Plastik sich zusammenzog und wieder ausdehnte, unter seinem Hals hatte sie ein Ende der Tüte eng zusammengedreht, sodass keine Luft hinein- oder herauskommen konnte. Sie saß lange neben ihm und hielt die Tüte fest. Als sie das Plastik von seinem Kopf zog, war das Gesichtchen blau angelaufen und der Brustkorb flach, er hob sich nicht mehr. »Ich habe seinen Atem ausgeblasen«, dachte sie sich. Sie hob ihn hoch und trug ihn zum Sofa, seine Ärmchen hingen welk herab, und er schien ihr schwerer als sonst. Sie legte ihn hin, drückte ihm die Augen zu und überlegte lange. Dann griff sie nach dem Telefon.
Während sie mit Josef telefonierte und ihm sagte, er könne kommen und Jonas jetzt abholen, kribbelte es in ihrem Kopf. Alle Mütter lieben ihre Kinder, dachte sie sich. Das ist ein Naturgesetz. Josef sagte, er würde sich auf den Weg machen.
Omka war ruhig wie vorher noch nie in ihrem Leben. Sie setzte sich zu Jonas ans Sofa und fand, dass er trotz des blauen Gesichtes und der jetzt rot verfärbten Stelle an seiner Schläfe immer noch schön war. Er lag ruhig und Omka fand, dass etwas sehr Würdevolles von ihm ausging, er war losgelöst von allem, auch von ihr, brauchte nichts mehr, und sie hatte den Eindruck, sie sähe ihn überhaupt zum allerersten Mal. Diese Ruhe, die von ihm ausging, schuf eine andächtige, fast rituelle Atmosphäre, in der Omka und Jonas schwebten wie in einer Blase. Jetzt war er ihr Geheimnis, brauchte nichts, wollte nichts und war einfach da. Sie fasste ihn an, sein Bauch und sein Brustkorb waren warm, und als sie in der Nähe des Herzens mit beiden Händen drückte, kam aus seinem Mund der Atem mit einem Geräusch, als würde er noch leben, es war seine Stimme, sein Atem, und Omka zuckte zusammen. Der Versuch, irgendeine Art von Trauer in sich zu finden, misslang, einzig das Bedauern, dass es so ein schönes Kind war, das jetzt nicht mehr lebte, bestärkte sie, und sie war sicher, dass das, was sie getan hatte, die einzige Lösung war. Ihr fiel die Kinderkrippe ein, dass Josef wahrscheinlich ein Kindermädchen für ihn angestellt hatte, wie er nach ihr fragen würde und dass man ihm immer versprechen müsste, alles würde gut werden. »Wie denn sonst«, dachte sie und strich die Decke über Jonas glatt, wie sie es immer tat. »Was für eine blöde, sinnlose Angewohnheit«, dachte sie weiter.
Sie stellte sich ihren Triumph vor. Den Knall. Und sie dachte, dass jetzt der Moment gekommen war, in dem sie alles in Besitz nehmen würde.
Es klingelte und Omka ging zur Kommode und nahm etwas aus der Schublade. Es lag schwer und kalt in ihrer Hand, und sie versteckte es in ihrer Kleidung. Es war eine Walther GSP , wie die Fachleute später sagten.
Dann ging sie zur Tür und öffnete, um Josef hereinzulassen. Es prickelte
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