Omka: Roman (German Edition)
sie zurück nach Hause kam, hatte sie mit verbissen glücklicher Miene Omkas Vater geheiratet, ohne zu protestieren, und ihr dann diesen schrecklichen Namen gegeben. Ihr Blick verschwimmt, als sie über die Straße läuft, hinter sich die Sirene und vor sich das Sankt Annenhospital, dessen Glastüren sich automatisch öffnen, und im Ohr die japsenden, kleinen Stimmchen. Die Frau an der Pforte duckt sich, als Omka das kalte Ding auf sie richtet. Die Wände des Krankenhauses sind in einem schmutzigen Türkisgrün gestrichen, der kalte Steinboden ist hellgrau mit weißen Einsprengseln, und es riecht nach Desinfektionsmittel. »Diesmal komme ich als jemand anderer!«, denkt sie sich. Alles läuft auseinander, als man sie sieht. Sie hört das Geräusch von schnellen Schritten, die sich von ihr wegbewegen und immer leiser werden. Auf dem Steinboden hallen sie laut. Omka hastet die Stiegen hinauf zur Gynäkologie, zur Geburtenstation, das beruhigende Gewicht in der linken Hand, im Ohr das vielstimmige, kleine Japsen. »Was mache ich denn hier?«, fragt sie sich, da reißen die Drachen an ihren Zügeln. Erschrockene Krankenschwestern fliehen bei Omkas Anblick in Zimmer, die dann von innen verriegelt werden, jemand ruft: »Polizei! Polizei!«, die Drachen schnauben böse, Omka läuft den leeren Gang entlang. Plötzlich öffnet sich eine Tür links, und ein Mann kommt langsamen Schrittes heraus, der an einem dünnen Gummihandschuh zieht, um seine Hand herauszubekommen, offenbar ein Pfleger, über der Tür steht » OP -Bereich« in roten Großbuchstaben. Sein Blick fällt auf Omka, die ihre Schritte verlangsamt, der Mann steht genau in der Mitte des Ganges und bewegt sich nicht, sondern sieht sie ruhig an. Draußen hört man Sirenen. Sie steht kurz vor ihm, sieht ihn an, seine weißen Gesundheitsschuhe, das graue Haar, die Brille, den leicht dicken Bauch und die gütigen, freundlichen Gesichtszüge, die sie ohne Angst ansehen. Omka steht direkt vor ihm, hebt die Waffe mitten in sein Gesicht, und er schaut durch die Waffe hindurch in Omkas Gesicht. »Mit der Brille stimmt etwas nicht«, dachte sie sich. So stehen sie eine Zeitlang da, und niemand weiß, was er machen soll. Dann sagt er »keine Angst«, öffnet die Hand und macht einen Schritt auf sie zu. Omka erschrickt. Und als wäre es gar nicht sie gewesen, sondern jemand völlig anderer, als hätte nicht sie gerade Mann und Kind umgebracht und als wäre nicht gerade jetzt die Polizei aus drei Gemeinden auf dem Weg zum Krankenhaus, als würde nicht gerade die Feuerwehr das brennende Haus zu löschen versuchen, sagt sie zu dem Mann: »Ich weiß nicht, was sie alle haben …« Der alte Mann zieht die Brauen hoch und spricht dann auf sie ein, mit ruhiger Stimme, eine ganze Weile lang. Dann erschießt sie ihn. Sie hört das Splittern von Glas und das Trampeln von schweren Füßen im Bauch des Gebäudes und reißt die Tür zu einem Krankenzimmer auf, schlägt sie hinter sich zu und versucht sich einzuschließen, warum sie überhaupt flieht, weiß sie nicht. An der Wand des Krankenzimmers hängt ein grellbuntes Bild von irgendeinem Baum, offensichtlich von einem Kind gezeichnet, und ein schmuckloses, eisernes Kreuz, wie in allen Krankenzimmern. Sie läuft ans Fenster und will sehen, ob es draußen eine Feuerleiter gibt, aber das Gebäude hat nicht einmal Balkone oder Terrassen, sondern blaue Gitter, damit man zwar die Türen in die Luft öffnen, aber nicht hinausspringen kann. Omka lacht. »Sie passen einfach gut auf uns auf«, denkt sie. Draußen hört man einen Lautsprecher. »Hier spricht die Polizei. Das Gebäude ist umstellt. Werfen Sie die Waffe aus dem Fenster. Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus.« Die Drachen fauchen und rollen die Augen. Sie umschleichen die Tür. Draußen sagt der Einsatzleiter in den Lautsprecher: »Ich wiederhole. Werfen Sie die Waffe weg und kommen Sie mit erhobenen Händen heraus.«
Omka denkt nicht nach. Sie schließt die Augen und sieht ein Bild. Es ist das Meer, und es ist groß. Als sie an ihren Bauch fasst, spürt sie nichts, keine graue Schnur, keine Schlange. Sie hat keine Angst. »Wie eigenartig«, denkt sie. Die ganze Spezialeinheit ist da, die Scharfschützen, die Feuerwehr, das Sondereinsatzkommando. Alles wegen ihr. Noch niemals im Leben hatte sie so ein Aufgebot. Man hatte sich gefreut, als das Kind geboren wurde, man war gerührt bei ihrer Hochzeit und stolz auf ihre Ausbildung, aber jetzt hat man Angst vor ihr, Angst und
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