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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Birr
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Dings, hier … na … Jesus!«
    Keine Reaktion. Hatte ich sie jetzt beeindruckt oder verwirrt? Irgendwo sagte jemand zu seinem Nebenmann: »Ey, Geschichte find ich voll doof. Ich weiß nicht, warum wir das lernen sollen. Ich interessier mich nicht für irgendwelche toten Deppen. Die sollen mal ihr Ding machen, ich mach mein Ding.«
    Das Regierungsviertel hatten wir mittlerweile hinter uns gelassen und fuhren in den Tiergarten.
    »Da links seht ihr einen Turm. Das ist ein Glockenspiel, bestehend aus 68 Glocken. Den hat die Firma Daimler-Benz der Stadt Berlin geschenkt und zwar zur 750-JahrFeier. Die war wann?«
    Nichts.
    »Was ist denn da los? Lasst mich nicht hängen, Leute. Ihr habt es doch vorhin so gut ausgerechnet. Einmal das Datum der 750-Jahr-Feier Berlins, und es gibt Gummibärchen. Das ist doch nicht so schwer.«
    »1987?«, fragte Nadine.
    »Jawollo, 1987. Nochmal Gummibärchen für Nadine!«
    Gejohle von der Klasse. Langsam waren sie warm.
    »Links der Tiergarten, sozusagen der Central Park von Berlin. War schon im 17. Jahrhundert das Jagdrevier für die Hohenzollern. Vor uns das Schloss Bellevue, ein Bau aus dem 18. Jahrhundert. Das Schloss wurde im Krieg schwer beschädigt und danach wieder aufgebaut. Ab 1957 war es der zweite Amtssitz des Bundespräsidenten nach der Villa Hammerschmidt in Bonn. Seit 1994 ist es der erste Amtssitz. Wer kann mir sagen, wie der Bundespräsident heißt?«
    »Karl-Heinz«, sagte einer.
    »Angela Merkel«, sagte ein anderer.
    »Nein, ich geb noch einen Tipp. Er heißt Horst.«
    »Tappert«, schrie es von hinten. Wer war das denn? Am Heck saß ein älterer Herr, der nicht so aussah, als gehörte er zur Klasse.
    »Nee, Tappert ist falsch. Sonst jemand? Na kommt, einen Bundespräsidenten namens Horst, und es gibt Gummibärchen.«
    »Köhler?«, sagte jemand.
    »Köhler ist richtig. Einmal Gummibärchen für – ?«
    »Marvin.«
    »Für Marvin, den glücklichen Gewinner. Und ich sehe, die Standarte des Bundespräsidenten weht am Mast, das heißt, er ist zu Hause. Wollt ihr mal ›Hallo, Onkel Horst‹ rufen?«
    »Nee, wollen wir nicht!«
    Aus dem Alter, in dem man dem Bundespräsidenten »Hallo, Onkel Horst!« zuruft, waren sie wohl doch schon raus.
    »Davor seht ihr eine Brücke. Die ist 1893 eröffnet worden, wurde dann im Krieg – ?«
    Vierzig erwartungsvolle Gesichter. Zwanzig gelangweilte.
    »Also bitte! Ich hab euch den Satz jetzt schon zweimal vorgesagt. Wenn man in Berlin sagt, ›dieses Gebäude wurde im Krieg‹, dann geht der Satz weiter mit – ?«
    »Kaputt gemacht?«, fragte Nadine.
    »Sagen wir lieber schwer beschädigt, ja? Und danach wurde die Brücke – ?«
    »Wieder aufgebaut«, rief der Fußballschaljunge.
    »Einmal Gummibärchen. Und diese Brücke ist benannt nach dem berühmten Reformator, dem Autor der 95 Thesen, dem Erfinder des Evangelischseins. Und der heißt Martin – ?«
    »Semmelrogge«, brüllte der ältere Herr am Heck.
    »Moment mal gerade«, sagte ich, schaltete das Mikrofon aus und beugte mich zu den Schülern in der ersten Reihe.
    »Wer ist denn der Mann da hinten? Gehört der zu euch?«
    »Ja, das ist der Herr Kralmeyer«, sagte einer der Jungen. »Der ist eigentlich schon pensioniert und ein bisschen plemplem.«
    »Warum fährt der denn dann mit?«, fragte ich.
    »Der war Sportlehrer. Und bei einer Freizeit muss immer ein Sportlehrer dabei sein. Die anderen Sportlehrer hatten alle keine Zeit oder keine Lust.«
    Oha!
    »Aber der ist ganz nett. Nicht mehr ganz dicht, aber ganz nett.«
    »Alles klar«, sagte ich, schaltete das Mikrofon wieder ein und fuhr fort:
    »Richtig! Der berühmte Reformator, der 1517 seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg genagelt hat, war kein Geringer als Martin Semmelrogge. Einmal Gummibärchen für den Herrn Kralmeyer, bitte.«
    Die Klasse jubelte.
    Wir wendeten und fuhren flussaufwärts. Jetzt waren sie nicht warm, sie waren heiß. Ich musste nur noch die Hälfte der Sätze vollenden und ihnen ein paar Jahreszahlen hinwerfen.
    »Das Alte Museum hat der berühmte Berliner Architekt Karl Friedrich Schinkel gebaut und wurde 1830 eröffnet. Es wurde im Krieg – ?«
    »S TARK BESCHÄDIGT !«, brüllte die Klasse zurück.
    »Und danach – ?«
    » WIEDER AUFGEBAUT !«
    »Gummibärchen!« Mittlerweile schmiss ich die Packungen mit vollen Händen in die Menge. Sogar die Hinterbänkler rissen sich nun darum.
    »Vorne das Rote Rathaus. Da sitzt der Regierende Bürgermeister von Berlin drin. Und der

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