Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Birr
Vom Netzwerk:
Studenten, der ein Referat gehalten hatte, für das man ihn auf Lebenszeit von allen Hochschulen verbannen und höchstens noch auf einer zentralasiatischen Militärakademie zulassen sollte. Wenn man sich abends zufällig in einer Kneipe treffen würde, tränke man einen Schnaps zusammen, und wer weiß, was dann noch passieren würde.
    Maite gehörte zur dritten Stufe. Wir waren uns nicht unsympathisch, hatten uns aber auch nicht besonders viel zu sagen. »She’s a nice girl« hätte ein Amerikaner gesagt.
    Ich war am Alexanderplatz in die U-Bahn gestiegen, alle Sitzplätze waren schon besetzt, und so stand ich zufällig neben Maite, die auf der Bank saß.
    »Ach«, sagte sie, als sie mich erkannte.
    »Ach, hallo«, antwortete ich.
    »Na?«
    »Na?«
    Mit erfolgtem Abschluss war auch der Smalltalk schwieriger geworden, weil man nun ja nichts mehr hatte, was man teilen konnte, und für nostalgische »Weißt du noch«-Gespräche war das alles noch nicht lange genug her.
    »Wo fährst du hin?«, fragte sie.
    »Ich fahre nach Hause. Komm gerade von der Arbeit.«
    »Ach, was machst du denn jetzt?«
    Die Bahn war noch nicht einmal losgefahren, und wir hatten noch fünf Stationen zu versmalltalken.
    »Ich bin in die Tourismusbranche eingestiegen.«
    »Und was da genau?«
    »Historische Fachberatung. Für eine Firma, die Stadtführungen anbietet.«
    »Aha. Und was muss man da so machen?«
    Mann, war das langweilig!
    »Na, es gibt zum Beispiel ungeklärte Fragen, was bestimmte Gebäude angeht. Zum Beispiel: Wessen Kopf ist das auf der rechten Durchfahrt an der nordöstlichen Seite der Moltkebrücke? Die einen sagen, das ist Athene, die anderen sagen Alexander der Große. Da muss man dann halt ins Archiv gehen und schauen, ob man noch Dokumente darüber findet. Man kann ja nicht nach Bildern googeln und dann die Gesichter vergleichen.«
    »Ja, nee. Das stimmt. Aber ist ja schon interessant, ne.«
    »Ja, find ich auch.«
    »Ja.«
    Pause.
    »Kennst du dich dann auch mit diesen ganzen Plattenbausystemen aus, die in der ehemaligen DDR gebaut wurden?«
    Autsch! Das stach mich in der Großhirnrinde. Eigentlich hätte ich sie jetzt darüber aufklären sollen, dass in der ehemaligen DDR keine Plattenbauten gebaut, sondern abgerissen wurden. Gebaut wurden sie in der DDR, und zwar zu einem Zeitpunkt, als sie noch ganz und gar nicht ehemalig war. John Cleese lehrt uns, dass ein Papagei erst mit seinem Ableben zum Expapagei wird. Wer »ehemalige DDR « sagt, sagt auch »Lesbierin« und »Farbiger«.
    »Äh, ja. Doch. Schon. WBS 70 und so. Da kenn ich mich auch ein bisschen aus«, sagte ich stattdessen.
    »Aha.«
    Pause.
    Eigentlich hätte ich jetzt fragen müssen, was sie »jetzt so« machte, hatte aber weder Lust noch Interesse. Üblicherweise bot ich den Bekannten in solchen Fällen ein Stück meiner Zeitung an. Da! Lies und schweig! Die Zeitung hatte ich aber am Morgen schon ausgelesen und weggeschmissen.
    »Du, ich hab nächste Woche Geburtstag«, sagte Maite. »Ich feiere da in so einem Club. Vielleicht hast du ja Lust zu kommen.«
    Sie wühlte in ihrer Tasche herum und gab mir einen Flyer.
    »Mein Freund und ich haben den ganzen Club gemietet. Du bist willkommen, kannst auch gerne noch eine Freundin mitbringen, das soll eine riesige Party werden. Da ist allerdings Abendgarderobe angesagt, ist ein bisschen schicker.«
    Wenn ihr Freund der Typ war, den ich ein oder zwei Mal gesehen hatte, wie er mit seinem Auto vor der Uni stand und sie abholte, dann war er ein kurzer, etwas aufgeregter Businesstyp. Vielleicht hatte er etwas mit IT oder Immobilien zu tun, vielleicht aber auch nur mit »Projekten«. Ob er es sich leisten konnte, für die Geburtstagsfeier seiner Freundin einen ganzen Club anzumieten, konnte ich nicht einschätzen. Es sah aber auf jeden Fall gut aus.
    Ich besah mir den Flyer. Er war offensichtlich von jemandem gestaltet worden, der etwas mehr konnte als »Ich hab auch Photoshop auf dem Rechner«. In Schwarz und Lila wurde die Party mit mediterranem Buffet und Musik angekündigt. Der Club lag in Moabit und hieß »Die Etage«. Nie gehört. Das Logo des Clubs wäre auch für ein Wellnesshotel in der Lüneburger Heide passend gewesen, oder für einen Esoterikladen, der Duftkerzen und Traumfänger verkaufte: geschwungene Schreibschrift mit ausladenden Schnörkeln und ein Schmetterling. Frauen, die »Fackeln im Sturm« oder »Vom Winde verweht« guckten, würden dazu »sinnlich« sagen. Vielleicht war der Club so eine Art

Weitere Kostenlose Bücher