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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Birr
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Stylebar mit Aquarien, Milchglaswänden, die die Farbe wechseln konnten, und diesen beleuchteten Blubberwassersäulen. Und vielleicht hatten Maite und ihr Freund zu Hause auch Airbrushbilder von tropischen Wasserfällen bei Nacht hängen.
    »Och ja«, sagte ich. »Da schau ich mal, ob ich kann. Doch.«
    Ich steckte den Flyer ein, verabschiedete mich und stieg aus.
    Zehn Tage später juckte es mich in der Leber. Ich hatte die letzten Tage gearbeitet und war abends immer brav zu Hause geblieben, und jetzt wollte ich mal wieder raus. Irgendwas: Kneipe, Biergarten oder Libanese, mit der Option, danach noch auf die Juchee zu gehen, wenn alle noch fit und beisammen waren.
    Ich telefonierte etwas herum, aber keiner meiner Freunde hatte Zeit oder Lust. Felix wollte unbedingt Kicker spielen, was ich überhaupt nicht konnte, und weigerte sich außerdem, den Bezirk Mitte zu verlassen. Christian sagte, er hätte am Abend Skatrunde und dürfe da nicht fehlen, und Thomas und Jenny wollten sich »einen ruhigen Abend« machen. Is klar, ne, versteh schon. Anna war mit ein paar Leuten unterwegs und hatte mich nicht gefragt, ob ich mitkommen wollte, was mich schon etwas verstört hatte. Na ja, vielleicht brauchte sie auch mal »Zeit für sich«. Mit anderen Leuten.
    Mir wurde wieder bewusst, wie viele Freunde ich nach dem Abschluss an die Mobilität verloren hatte. Eine ganze Reihe hatten Berlin verlassen und waren der Arbeit oder der Liebe wegen in die weite Welt oder die Provinz gezogen: Ecuador, Kopenhagen, New York, Wetterau, Recklinghausen, Los Angeles, Mannheim. Es waren ausschließlich Frauen. Die Männer blieben da, promovierten oder wurden arbeitslos oder Künstler. »Jungs, wir bleiben hier«, hatte einer immer gesagt, wenn eine Frau ihren arbeitsbedingten Wegzug ankündigte. »Und wenn die Damen mal wieder zu Besuch in Berlin sein sollten, finden sie uns mit einem Kasten Sternburg hinterm EDEKA .«
    Ich habe keine Lust, heute Abend alleine hier herumzusitzen, dachte ich. Dann geh ich eben auf Maites komische lila-schwarze Party. Wenn es doof ist, kann ich ja immer noch gehen, mir auf dem Heimweg noch zwei Tegernseer Spezial holen und zu Hause zwei Folgen »Curb your enthusiasm« gucken.
    Ich sah nochmal auf den Flyer: »Dresscode: dress to impress, Abendgarderobe, Outfit.«
    Watn fürn Outfit? Ging es ein bisschen differenzierter? Vielleicht war das ja auch als Networkingevent gemeint und auf dem Mist ihres Businessfreundes gewachsen. Maite selbst war eher die fleißige Studentin mit NEON -Abonnement und wenigen anderen Interessen gewesen. Aber gut, dachte ich, wenn da nur iPhone-Besitzer und Leute herumhängen, die gerne Miles&More-Mitglieder wären, dann mache ich da halt den Ethnologen: teilnehmendes Beobachten. Was ja im Prinzip heißt: bloß nichts zu ernst nehmen. Zur Not bringe ich nochmal die Nummer mit dem Nagelstudio. Hat ja schon mal geklappt.
    Ich besaß nur einen richtigen Anzug, einen schwarzen Nadelstreifenanzug, den ich für hundert Euro bei C&A gekauft hatte, aber gern anzog, wenn ich einen Anlass dazu hatte. Alles fühlt sich anders an, wenn man einen Anzug trägt. Ein Hemd mit Krawatte schien mir etwas übertrieben und außerdem zu heiß, deshalb zog ich wieder das rote kurzärmlige Hemd darunter. So stieg ich gegen zehn in die U-Bahn und fuhr nach Moabit, eine Gegend, in der Anzugträger so selten waren wie Abstinenzler in einem britischen Pub.
    Wer in München in Jogginghose und Kapuzenpulli durch die Innenstadt läuft, wird schräg angeguckt. In Berlin darf man alles tragen: eine Jogginghose, einen Skianzug, eine Plastiktüte vom Kaiser’s, ein Kettenhemd, ein Hühnerkostüm oder eine NVA -Uniform. Niemand wird sich daran stören. Wenn du aber einen Anzug trägst, musst du dich erklären. Schwabe, Häuserrenovierer, Immobilienhai, Menschenfresser!
    Ich stieg an der S-Bahn-Station Westhafen aus und musste noch ein paar Stationen mit dem Bus fahren. Die Gegend um den Westhafen sah genauso aus, wie sie hieß. Druckereien, Gebrauchtwagenhändler und leerstehende Gewerbeflächen. Die »Etage« lag in einem Gewerbehof und war nur über einen Außenaufzug zugänglich. Am Eingang empfing mich eine aufgetakelte Frau.
    »Wir haben heute geschlossene Gesellschaft«, sagte sie etwas abweisend.
    »Ich weiß«, sagte ich. »Maites Geburtstag. Ich bin eingeladen.«
    »Ach so. Na, dann viel Spaß.«
    Hinter dem Empfang lag ein langer Gang, der mit dickem rotem Teppichboden ausgelegt war. Die Türrahmen waren golden

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