Ondragon - Menschenhunger
Ihresgleichen. Ein dickes Konto und ein teures Auto und schon denken Sie, Sie seien etwas Besseres! Aber wir wissen ganz genau, was wir tun, auch wenn wir nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden sind und keine Eliteausbildung genossen haben. Ich bin hier aufgewachsen und ich weiß, wie man in dieser Gegend Ermittlungen durchführt.“
Ondragon schürzte die Lippen ob dieser unverschämten Rede. Daher wehte also der Wind. „Ich rate Ihnen ein letztes Mal, sich aus unseren Ermittlungen rauszuhalten, sonst werde ich Sie wegen Behinderung der Polizei ins Gefängnis bringen. Tun Sie Ihre Pflicht und führen Sie uns zu der Leiche und dann kümmern Sie sich um Ihre Therapie, oder weswegen Sie sonst hierhergekommen sind. Dafür haben sie ja schließlich viel Geld bezahlt!“
Ondragon lächelte mitleidig. „Nur allzu gerne überlasse ich Ihnen diesen hübschen Schlamassel, Deputy. Ich reiße mich bestimmt nicht darum, Ihre Arbeit zu machen, und Sie haben Recht: Ich habe eine Stange Geld dafür bezahlt, um hier zu sein, und deshalb führe ich Sie jetzt zu Mr. Lyme, und danach fahren Sie zur Hölle!“
Deputy Hase erhob sich schweigend, die Beamtenbeleidigung hatte er ohne Kommentar geschluckt und damit bewiesen, wie sehr er, ohne es zu merken, sein eigenes Klischee erfüllte; der Underdog vom Land gehorchte dem Privilegierten. Ondragon lächelte ironisch, dann hob er die Hände. „Gentlemen, bitte folgen Sie mir.“
Sichtlich erleichtert darüber, dass der unangenehme Disput zwischen dem Deputy und dem aufmüpfigen Gast endlich vorüber war, standen alle von den Sesseln auf. Ondragon bemerkte dabei, wie Kateri seinem Blick geflissentlich auswich. Zu gern hätte er gewusst, was sie dachte. Während Deputy Hase und seine Leute ihre Rucksäcke schulterten und Pete sein Jagdgewehr, beobachtete er sie eindringlich. Doch sie zeigte keine Reaktion, nahm wortlos ihre Jacke auf und ging zur Tür. Was war nur mit ihr los? Schämte sie sich für die Nummer, die sie gestern im Wald geschoben hatten? Bereute sie es, sich ihm hingegeben zu haben? Ach was, hingegeben! Wie ein hungriger Wolf hatte sie sich auf ihn gestürzt! Also, warum verhielt sie sich auf einmal so, als sei sie ein Rührmichnichtan? Na, hoffentlich würde sie ihm wenigstens helfen, den richtigen Weg durch den Wald zu finden, denn bisher gab er nur vor, ihn genau zu kennen.
Unter dem kritischen Blick von Sheila verließ der kleine Trupp schließlich die Lodge und machte sich auf in den Wald.
Nach einem strammen, zweistündigen Fußmarsch erreichte die Gruppe den Bach, an dem Ondragon tags zuvor die rätselhaften Spuren gefunden hatte. Nachdenklich kniete er sich hin, suchte den dunklen Morast ab und erhob sich wenig später wieder. Dabei ließ er niemandem merken, dass ihm kurz schwarz vor Augen wurde. Verdammtes Schwindelgefühl! Mit dem Unterarm wischte sich Ondragon tote Mücken und Schweiß von der Stirn, pustete die winzigen, schwarzen Fliegen, die hier am Wasser besonders zahlreich waren, aus der Luft vor seinem Gesicht und sah sich die Stelle noch einmal genau an. Ganz eindeutig erkannte er den kleinen Einschnitt am Bachufer, an dem er seine Flasche aufgefüllt hatte, und seine eigenen Fußabdrücke in der feuchten, schwarzen Erde. Aber wo war die zehenlose Fährte? Der Rest des Bachufers lag unberührt da. Das konnte doch nicht sein.
„Hier war eine Spur“, sagte er schließlich zum Deputy und zeigte auf die Stelle. „Hier, direkt neben meinen Fußabdrücken. Leider ist sie jetzt verschwunden. Hier habe ich auch den Ring gefunden.“ Er wollte in die Hosentasche greifen und ihn herausholen, doch dann entsann er sich, dass er heute eine andere Hose trug.
„Was für einen Ring?“ Deputy Hase sah ihn fragend an.
„Es war der Siegelring von Lyme. Der hat hier im Schlamm gesteckt, unter der Spur.“
„Da ist aber keine andere Spur außer der Ihren.“
„Keine Ahnung, warum sie verschwunden ist. Ich verstehe das auch nicht.“
„Und wo ist der Ring jetzt?“
„In meinem Zimmer. Ich habe ihn in der anderen Hose.“
Der Deputy sah auf das Ufer und dann seine Kollegen an. Ondragon war sich nicht sicher, aber Hase wirkte, als sei er nicht überzeugt. Wütend setzte Ondragon daraufhin über den Bach. Sie würden ihm schon noch glauben, wenn sie endlich Lymes Leiche sahen. Scheiß auf die Fährte!
Mit forschem Schritt eilte er voran und hielt nach der Blutspur Ausschau, die gestern noch deutlich zu jenem Ort geführt hatte, an dem er
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