Ondragon: Nullpunkt: Mystery-Thriller (German Edition)
immer bei mir.“
Philemon wollte etwas darauf erwidern, doch der Doktor ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Ich war bereits hier, als Sie kamen, mein Freund, und ich habe Sie beobachtet.“
Philemon schluckte, seine Kehle hatte sich in den dünnen Hals einer Sanduhr verwandelt, durch den jeweils immer nur ein Körnchen rieselte. Körnchen um Körnchen – zu wenig Luft für einen erwachsenen Mann. Panisch kämpfte er um Haltung, doch insgeheim wusste er, dass es vorbei war. Der Doktor würde ihn feuern und nach Hause schicken. Er hatte seine Chance vertan. Tränen der Scham stiegen in seine Augen.
„Es tut mir aufrichtig leid!“, sagte er erstickt. „Selbstverständlich werde ich sofort meine Sachen packen und gehen.“
Tesla richtete seinen Blick auf das Notizbuch und dann wieder auf Philemon. „Das werden Sie nicht! Schließlich brauche ich Sie hier!“
Verwundert sah Philemon auf. „Aber ich bin in Ihr Studienzimmer eingedrungen und habe ohne Erlaubnis Ihre Notizen gelesen. Das war …“
„…sehr ungehörig, in der Tat! Aber es zeigt auch Ihr außerordentliches Interesse für meine Arbeit. Im Übrigen ist mir Ihr selbstloser Einsatzwillen durchaus aufgefallen, mit dem Sie in den letzten Wochen ohne zu klagen Ihren Pflichten nachgegangen sind. Ich weiß, dass Sie ein wissbegieriger und intelligenter junger Mann sind, Mr. Ailey. Viel intelligenter als Löwenstein oder Czito – ohne meinen beiden Assistenten dabei zu nahe zu treten. Aber Sie haben das gewisse Etwas, das es braucht, um ein wahrer Forscher zu werden. Schneid, Ausdauer und Geistesblitz. Und ich weiß es überaus zu schätzen, wenn man fleißig und aufrichtig ist. Es gibt nicht viele Männer, die mir ohne Vorbehalte folgen. Meine Freunde Löwenstein und Czito sind solche Raritäten … und Sie hoffentlich auch, Mr. Ailey.“
„Natürlich. Ich darf also bleiben?“, fragte Philemon bang. Sein Herz schlug heftig in seiner Brust. Teslas unerwartetes Lob machte ihn ganz flatterig.
„Sie dürfen noch viel mehr als das, mein Freund. Ich werde Sie heute das Experiment als erster leitender Assistent durchführen lassen.“
„Als leitender Assistent?“
„Ganz recht. Eigentlich hatte ich wie immer den guten und zuverlässigen Löwenstein dafür vorgesehen, aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich Ihnen für Ihre Treue etwas schuldig bin.“
Philemon biss ich auf die Lippen, unendliche Dankbarkeit durchströmte ihn. „Sie sind mir nichts schuldig, Doktor. Im Gegenteil, ich bin Ihnen zutiefst zu Dank verpflichtet für Ihre Geduld und Ihre Nachsicht mit einem allzu tölpelhaften Schüler wie mir. Und es ist mir eine Ehre, das Experiment heute für Sie durchführen zu dürfen.“ Er reichte Tesla mit einer leichten Verneigung das Buch.
Der Doktor nahm es wortlos entgegen, strich andachtsvoll darüber und gab Philemon das Zeichen, sich entfernen zu dürfen. Mit pochendem Herzen verließ der junge Elektroingenieur die Kammer und trat ins Labor, wo er sich glücklich gegen die Wand lehnte. Endlich würde er vom Laborlehrling in die Riege der vollwertigen Assistenten aufsteigen. Endlich würde er in den Kreis von Teslas engsten Vertrauten aufgenommen werden. Er hörte, wie Löwenstein und Czito das Gebäude betraten. Die beiden Männer lachten über etwas und hängten ihre Hüte an die Haken neben der Tür. Freudig begrüßten sie Philemon und gemeinsam machten sie sich an die Vorbereitung des angekündigten Experiments.
28. Kapitel
19. August 1899 Colorado Springs am Mittag
Kurz vor zwölf Uhr war alles bereit. Mit vereinten Kräften hatten sie das zweite Terminal, eine übermannshohe Röhre aus Kupfer mit einem kuppelförmigen Dach, nach draußen geschafft und auf einem ebenen Stück Prärieboden aufgestellt. Die Röhre war mit einem isolierten Draht umwickelt, dessen Ende im Prärieboden verankert wurde. Durch ihn sollte die Energie über die Erde in die Spule gelangen und von dort aus an das Terminal auf dem Pikes Peak übertragen werden. Die auf dem Gipfel ankommenden Frequenzen würden von einem kleinen Messapparat aufgezeichnet und später ausgewertet werden können. Bei dem hiesigen Terminal sollte eine an der Röhre befestigte Glühlampe anzeigen, ob der Strom wie vorgesehen floss.
Aufgeregt stand Philemon neben dem kleinen Turm aus Kupfer und sah zum Laborgebäude hinüber. Er trug seine Gummischürze und die Schuhe mit den isolierenden Sohlen, auf denen er ungeduldig hin und her wippte. Er war der leitende Assistent und
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