Ondragon: Nullpunkt: Mystery-Thriller (German Edition)
zu bekommen wie beim ersten Mal, als sie das Terminal aufgebaut hatten. Gegen die Höhenkrankheit half nur viel Trinken und nötigenfalls der Abstieg, wenn es allzu schlimm wurde. Er öffnete die Feldflasche, die er mitgenommen hatte, und trank vorsorglich einige große Schlucke. Gleich mehrmals musste er den Druck auf seinen Ohren ausgleichen und es wurde zusehends kälter. Kurz vor dem Gipfel tauchte die Bahn in die Wolken ein und die Fahrgäste gaben enttäuschte Laute von sich, da ihnen nun die Aussicht verwehrt blieb. Philemon hingegen machte es nichts aus, schließlich war er nicht wegen des Panoramas hier.
An der Gipfelstation stieg er mit den anderen Fahrtgästen aus und lief durch den Dunst zuerst zum Summit House. Dort genehmigte er sich eine kleine Mahlzeit und noch ein paar Schlucke Wasser. Anschließend schlug er seinen Kragen gegen die Kälte hoch und stieg am südöstlichen Hang hinab zu dem Terminal, das sie zum Schutz gegen Neugierige mit einem Stacheldrahtzaun und einem Schild versehen hatten. „Achtung! Lebensgefahr! Betreten verboten!“, stand darauf in eindringlichem Rot.
Philemon legte die schwere Werkzeugtasche ab und setzte sich neben das Terminal auf einen Felsen. Während er seinem eigenen Atem und dem Pfeifen des Windes lauschte, beobachtet er das Gelände. Kein Besucher hatte sich bis hierhin verirrt. Nirgendwo war eine Bewegung zwischen den Felsen auszumachen. Philemon fröstelte. Er wandte seinen Kopf und blickte auf die mannshohe Kupferröhre hinter dem Stacheldraht. Hier hatte Frederick Myers also gestanden – falls die gute Dame, von der Herkimer erzählt hatte, nicht an Halluzinationen gelitten hatte, was empfindlichen Leuten bei dieser Höhe durchaus schon mal passieren konnte.
Nach einer Weile erhob Philemon sich und stieg vorsichtig über den Zaun. Er spürte einen leichten Druck hinter seiner Stirn. Der Beginn von Kopfschmerzen. Er hatte also nicht mehr viel Zeit, die Umgebung zu untersuchen. Er ging zu der Kupferröhre mit dem pilzförmigen Kuppeldach und klopfte mit den Fingern gegen das kalte Metall. Es klang hohl. Dann kontrollierte er die Isolierung der Drahtwindungen um die Röhre und bückte sich schließlich, um die kleine Tür zu öffnen. Ein plötzliches Déjà-vu erfasste ihn und er sah sich selbst, wie er in der Röhre kauerte und durch den Schlitz nach draußen spähte.
Er schaute auf seine Schuhe, die auf weißem Kalkstein standen. Konnte das sein? Schnell griff er nach dem Haken an der Tür und zog sie auf. Das Innere der Röhre war dunkel. Philemon zog den Kopf ein und stieg in das Terminal. Als er die Tür schloss, erfasste ihn augenblicklich das vertraute Gefühl der Beklemmung und er musste abwarten, bis sich sein Herzschlag wieder beruhigte. Derweil drang von draußen das hohe Klagen des Windes an sein Ohr, der sich in den Streben der Antenne fing. Entschlossen schüttelte Philemon die Beklemmung ab, beugte die Knie und blickte durch den Türschlitz.
Hatte er diese hellen Steine dort gesehen? Hatte er dieses Sausen in den Ohren gehabt und diese Kälte auf seiner Haut gespürt? Eine Gänsehaut überzog Philemons Arme, auch der Druck von innen gegen seine Schädeldecke war stärker geworden. Stöhnend rieb er sich die Schläfen.
Plötzlich hörte er draußen ein Geräusch. Das Rieseln von Steinen. Schlagartig ließ er die Hände sinken und erstarrte.
War dort jemand? Ein Gipfelbesucher? Oder war es Myers? Erneut spähte Philemon durch den Schlitz, konnte aber nichts erkennen. Verdammt, er würde die Röhre schon verlassen müssen, wenn er mehr erfahren wollte. Also gab er sich einen Ruck, öffnete leise die Tür und krabbelte ins Freie. Sofort zerrte der Wind an seinem Hut und drohte, ihn von seinem Kopf zu wehen, doch Philemon konnte ihn gerade noch festhalten und drückte ihn zurück auf seinen Platz. Mit einer Hand am Hut und der anderen am Kragen seiner Jacke richtete er sich auf und drehte sich einmal um sich selbst. Niemand war zu sehen, nur neblige Wolkenfetzen, die über den Kamm fegten und wie Gestalten aus dem Feenreich durch den Felsengarten tanzten. Wenn hier jemand gewesen war, so war er entweder fort oder versteckte sich hinter einem der unzähligen Felsen.
Ein Pfeifen ertönte aus der Ferne. Es war das Signal der Bahn, die in wenigen Minuten wieder ins Tal fahren würde.
Da sich der Druck in seinem Hirn mittlerweile in ein schmerzhaftes Pochen verwandelt hatte, beschloss Philemon, seine Mission zu beenden und in die Bahn zu steigen. Er
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