Ondragon: Nullpunkt: Mystery-Thriller (German Edition)
wälzte sich Philemon von einer Seite auf die andere. Alles, was er sich wünschte, war, keine Zweifel mehr haben zu müssen. Er wollte Tesla vertrauen. Wollte glauben, was er gesagt hatte. Jedoch befürchtete er, dass das nicht mit einem einfachen Vergessen und Verdrängen getan sein würde. Er wusste, er würde mehr über den ‚Vorfall’ herausfinden müssen, bevor sein Argwohn endlich Ruhe gab. Und hatte er dafür nicht den morgigen Vormittag frei bekommen? Wenn er bis neun Uhr schlief, hätte er noch ausreichend Zeit, sich auf die Suche nach dem angeblichen Zeugen zu machen und ihm ordentlich auf den Zahn zu fühlen. Es wäre doch gelacht, wenn er diesem alten Ziegenhirten nicht als Lügner entlarvte!
24. Kapitel
23. Mai 2011
Fortaleza, Brasilien 19.07 Uhr
Draußen war es mittlerweile dunkel geworden. Eine weitere tropische Nacht floss wie dickflüssiger Sirup über die Stadt, und die Favela erwachte langsam zum Leben. Ondragon hörte Stimmen und Schritte durch das geöffnete Fester dringen. Er hockte auf einem durchgesessenen Bett und stierte auf einen flimmernden Fernseher. Beides befand sich in einer kleinen Wohnung, die in einem der oberen Stockwerke der Pyramide lag. Ein leicht schimmliger Geruch hing in der Luft. Sein Ursprung war in der Nasszelle beheimatet, besser gesagt, in der Zuchtstation für neuartige Pilz-Algen-Symbiosen, die so aussah, als wäre sie früher mal ein Bad gewesen. Zwei Eimer ersetzten die Toilette, einer mit Wasser, einer mit … na ja, sprechen wir nicht darüber. Ansonsten war die Bude einigermaßen sauber. Sem hatte ihm das Quartier zur Verfügung gestellt, solange sie in Fortaleza nach dem Unbekannten suchen würden. Ondragon hatte schon schlimmere Absteigen erlebt und war froh, hier vorerst sicher zu sein, denn in der ganzen Stadt herrschte große Aufregung wegen des Einbruchs im Labor am Hafen. Überall wurde intensiv nach den Tätern gefahndet.
Auf dem Bildschirm des Fernsehers erschienen zwei Fotos. Das eine stammte von Charlizes Akkreditierungsausweis. „Dr. Letícia Matsumoto Souza“ wurde als mögliche Mittäterin gehandelt, weil sie seit der Nacht des Raubs nicht wieder an ihrem Arbeitsplatz aufgetaucht war. Das andere Bild zeigte die schattenhafte Gestalt von Ondragon selbst. Es war von einer Überwachungskamera aufgenommen worden, die weder Charlize noch er bemerkt hatten. Zum Glück waren beide Fotos reichlich unscharf. In den Nachrichten wurde zwar nicht erwähnt, was aus dem Labor gestohlen worden war, aber man sprach von einer denkbaren Aktion durch eine ausländische Diebesbande. Ob die Schießerei auf einem Parkplatz an der Praia de Meireles ebenfalls damit zu tun hatte, sei noch unklar.
Ondragon, der es besser wusste, schaltete den Ton leiser und blickte neben sich aufs Bett. Dort lagen die Ausdrucke vom Logbuch. Erwartungsvoll rieb er seine Fingerkuppen aneinander. Gleich würde er das Geheimnis von Pandora lüften, doch vorher musste er seine Gedanken ein wenig sortieren – oder, wie Charlize es vorhin so schön ausgedrückt hatte, seinem deutschen Ordnungsinn nachgeben. Er zückte den Notizblock und schrieb hinein, was er bisher von Sem über den großen Unbekannten erfahren hatte.
Sems Leute hatten den alten Toyota nach der Tat verfolgt und ihn noch vor der Polizei in einer ruhigen Seitengasse zur Favela gefunden. Front- und Heckscheibe waren kaputt, der Wagen leer. Aber eine Favela wäre nicht eine Favela, wenn nicht irgendein Bewohner etwas bemerkt hätte. In den Favelas, so lautete ein brasilianisches Sprichwort, hatten die Wände Augen!
Sem hatte also herumfragen lassen und siehe da, es war herausgekommen, dass der Kerl durch das Viertel geflohen war. Wie eine leuchtende Spur zog sich sein Weg durch das Labyrinth bis hin zu einem geheimen Winkel in einem verlassen Fabrikgebäude. Unter einem Stapel aus zerrissenen Plastikplanen hatte der Typ sich dort einen Unterschlupf eingerichtet. Leider war er schon wieder fort, und einige zurückgelassene Gegenstände legten nahe, dass er sein Versteck eilig geräumt hatte. Mindestens eine Woche musste der Kerl sich in dem Gebäude aufgehalten haben, das schätzte Ondragon anhand der Müllreste, die Sem eingesammelt und mitgebracht hatte. Schlauer Junge. Das bedeutete aber auch, dass Mr. Unbekannt schon da war, bevor er und Charlize nach Fortaleza gekommen waren. Hatte der Kerl etwas von Pandora gewusst und ihre Ankunft erwartet? Oder hatte er seinen eigenen Coup durchgeführt und war ihnen nur zufällig
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