Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition)
du mich hören kannst, ich zünde jetzt die Schnur!“
Stille.
Verdammt, warum meldete sich niemand? Vorhin war die Verbindung doch gut gewesen. Ondragon überlegte, ob er besser erst zünden sollte, wenn er den Kontakt zu seinem Freund hergestellt hatte. Aber wer wusste schon, wie viel Zeit ihnen dabei verlorenging. Schließlich konnte es sein, dass es mit dem Funk gar nicht mehr klappte. Er könnte zum Schacht gehen und nach oben rufen. Aber dann müsste er sich noch zwei Mal mehr durch diesen beschissenen Durchschlupf zwängen. Hatte er Lust dazu? Nein!
Er überschlug im Kopf, wie viel Zeit ihm anhand der Länge der Schnur bis zur Explosion blieb. Es war etwas her, seit er mit Sprengstoff dieser Art gearbeitet hatte, aber er meinte, sich zu entsinnen, dass die rote Schnur, das war die schnelle – verdammt, warum hatten sie die schnelle mitgenommen? – mit einer Sekunde pro Inch abbrannte. 75 Yards waren 2700 Inches, demnach hatte er 45 Minuten, um von hier zum Schacht und am Seil hinaufzugelangen. Das war knapp, aber zu schaffen.
Angestrengt stieß er Luft aus und versuchte es dann noch einmal bei Rod. Leider auch diesmal erfolglos. Was soll‘s. Er schnippte das Feuerzeug an, drückte einen Knopf an seiner Uhr und legte nach einem kurzen Zögern die gelbe Flamme an die Lunte, die sofort wie eine Wunderkerze zu brennen begann.
No risk, no fun! Ondragon warf sich mit dem Rucksack voran auf den Geröllhaufen. Keuchend zwängte er sich durch den schmalen Spalt zwischen Decke und Schutt, was ihn ganze sieben Minuten kostete. Mit zerschrammten Armen und angeschlagenen Knien sprang er am anderen Ende auf und hastete weiter, bis er endlich in die helle Lichtsäule des Schachtes tauchte.
Er nahm das Seil und fädelte es in das Geschirr ein. Dann hob er den Kopf.
„He!“, rief er in das Mikro. „Holt mich rauf!“
Er wartete auf eine Antwort, aber nichts tat sich. Warum zum Teufel funktionierte der Funk nicht? Ungeduldig riss er sich die Gasmaske vom Gesicht und brüllte aus voller Kraft hinauf.
„Rod? Mari-Jeanne? Hallooooo! Holt mich verdammt noch mal rauf. Die Ladungen gehen gleich hoch!“
Ein Schatten erschien über der Öffnung. Kurz darauf spannte sich das Seil und er wurde emporgehoben.
Oben angekommen half Rod ihm dabei, sich über den Rand des Schachtes zu stemmen. Keuchend rollte Ondragon sich auf den Rücken und sah auf die Stoppuhr. 37 Minuten! Er ließ den Arm fallen und starrte einen Moment lang in das grelle Neonblau des Himmels.
Nur wenige Atemzüge später spürte er die Vibrationen der Explosion im Boden unter seinem Körper. Ein Grollen ging durch den Berg, als plagten ihn Verdauungsprobleme, und dann war es wieder ruhig. Hatte er sich doch um ein paar Minuten verrechnet!
„Bei der Heiligen Barbara, das war knapp!“, sagte Rod.
Ondragon richtete sich auf und blickte zum Schacht hinüber, aus dem eine gelbliche Staubwolke aufstieg wie Rauchzeichen.
„Was war denn mit dem Funk los?“, erkundigte sich Rod.
Ondragon hob die Schultern. „Schlechter Empfang. Ist wohl doch zu viel Gestein da unten, das die Wellen abschirmt. Wo ist die Madame?“
„Sie ist bei der Kleinen hinter der Kuppe dort.“ Rod wies auf einen Schuttkegel. „Mari-Jeanne hat ihr Schmerzmittel und Antibiotika gegeben und das Bein geschient. Sah böse aus.“
„Was? Ihr habt unseren Notfallkit angebrochen?“
„Mann, ja! Sollten wir das Mädchen einfach so liegenlassen?“
Ondragon machte eine wegewerfende Handbewegung. „Und, ist es das Mädchen von der Expeditionsgruppe?“
„Vermutlich“, entgegnete Rod mit funkelndem Blick.
Ondragon schielte zu der fliegenumschwirrten Frauenleiche hinüber, die glücklicherweise weit genug weg lag, so dass man den Verwesungsgeruch nicht wahrnahm. In einiger Entfernung lauerten allerdings schon wieder die Geier mit der ihnen eigenen Geduld darauf, von den blasshäutigen Störenfrieden endlich mit ihrem Festmahl alleingelassen zu werden.
„Dann war das dort ihre Mutter. Wer auch immer ihr den Hals umgedreht hat, der Macheten-Kerl oder …“
Wie auf ein Stichwort unterbrach plötzlich ein entferntes Heulen ihre Unterhaltung.
Rods Kopf fuhr herum, als hätte er eine Ohrfeige bekommen. Seine Augen sondierten das Gelände wie Suchscheinwerfer.
Wie von einem Katapult beschleunigt sprang auch Ondragon auf die Füße und war binnen eines Lidschlags an der Seite seines Freundes.
„Was war das?“, rief es hinter ihnen fragend. Die Madame hatte ihren Kopf über den
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