Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition)
Zuschauer vor der Bühne auf wie für den Empfang eines Abendmahls.
Madame Tombeau nahm die Schüssel mit dem Hühnerblut entgegen und zeichnete damit auf die Stirn eines jeden Jüngers ein blutiges Kreuz. Dabei murmelte sie die französischen Worte: „Die Energie des Lebens für dich vom Hüter des kosmischen Schatzes, Damballah!“
Als sie eine halbe Stunde später neben Ondragon an der Bar saß, war sie kaum wiederzuerkennen. Sie trug ihr geschäftsmäßiges Outfit mitsamt der unmöglichen Brille und gab sich kühl.
„Sie sind tatsächlich gekommen, Monsieur“, stellte sie mit einem spöttischen Unterton fest. „Und, was mich noch mehr frappiert, ich kann spüren, dass Sie Ihre Einstellung geändert haben. Haben Sie die Kräuter zu sich genommen?“
„Oh, das hab ich glatt vergessen. Ich werde es später nachholen, versprochen“, log er nonchalant und versuchte damit, bewusst von einer Diskussion über seine Attitüde abzulenken. Er verspürte wenig Lust, darüber zu sprechen. Vielleicht weil er sich manipuliert fühlte. „Sagen Sie, sind Sie wirklich die Besitzerin dieses illustren Clubs?“
„Ja, der Club gehört mir. Hier halte ich meine Rituale ab. Ist ein unauffälliger Treffpunkt für meine Gemeinde.“
„Wenn die Behörden Wind davon bekämen, dass Sie hier wehrlose Tiere köpfen und mit Blut herumspritzen, dann würde man Ihren Laden ganz schnell dichtmachen …“
„Ich habe Sie nicht eingeladen, mir zu drohen, Monsieur!“
„Das tue ich auch nicht, Madame. Mir hat Ihre Show ausnehmend gut gefallen, vielleicht komme ich wieder … vorausgesetzt, ich darf den Schlüssel behalten.“ Ondragon lächelte ein Lächeln der Kategorie „charmant“ und trank von seinem Cocktail.
„Das war keine Show, das war, wenn Sie so wollen, ein Gottesdienst!“
„Wie dem auch sei. Ich bin noch wegen einer anderen Angelegenheit hier.“ Er deutete auf das Päckchen aus Zeitungspapier, das noch immer auf dem Tresen lag. „Und ich muss sagen, dass ich darüber wenig amüsiert bin!“
Die Voodoo-Priesterin zog fragend die Augenbrauen hoch, und Ondragon bedeutete ihr, das Päckchen zu öffnen. Wachsam schlug sie das Papier zur Seite und spähte hinein. Kopfschüttelnd sah sie wieder auf. „Das stammt nicht von mir. Das ist Amateur-Hokuspokus. So etwas mache ich nicht.“
„Sicher? Aber ich habe Voodoo-Puppen bei Ihnen im Laden gesehen.“
„Die Puppen sind nicht echt. Touristennepp. So etwas benutzen allenfalls nur Anhänger des Hoodoo, aber das ist kein wirklicher Zauber. Selbst in Haiti verwenden wir keine Puppen dieser Art.“
„Ach, das ist mir neu. Im Voodoo benutzt man keine Puppen?“
„ Non! Das mit den Puppen ist Blödsinn, den leider viele Menschen glauben. Das haben wir der Trivial-Literatur und drittklassigen Horrorfilmen zu verdanken. Aber niemand, der sich ernsthaft mit Vodou beschäftigt, würde Nadeln in Puppen stechen. Das ist absurd! Und lässt unsere Religion als archaisch und gewalttätig erscheinen. Aber das ist nicht richtig. Vodou ist sehr komplex und kein Werkzeug, um Angst und Schrecken zu verbreiten, im Gegenteil, es kümmert sich sehr gewissenhaft um seine Mitglieder. Wir Priester helfen in der Not, bei Krankheit und Problemen. Auch das Bild von den Zombies als menschenfressende, halbverweste Untote ist vollkommener Unfug. Aber was rede ich mit Ihnen darüber. Sie glauben ja eh nichts.“ Madame Tombeau winkte ab.
„Und was ist mit dem Säckchen? Ist das auch bloß fauler Zauber?“ Ondragon wies auf das Paket aus Zeitungspapier.
Ungehalten schob Madame Tombeau das Papier erneut zur Seite und betrachtete das zweite Gebilde neben der Puppe. Von einer Sekunde auf die nächste wich die Farbe aus ihrem Gesicht und ihre Hand flog vor ihre Brust. Sie schlug das Kreuzzeichen. „Bondieu! Das ist ein Ouanga!“
„Aber das ist doch etwas Gutes, oder etwa nicht? Zumindest haben Sie mir das heute Vormittag so erklärt. Ein Ouanga ist ein Schutzzauber.“
„Nein, das habe ich nie gesagt. Ein Ouanga ist ein Amulett und es kann weiße wie auch schwarze Magie enthalten!“
Ondragon verdrehte innerlich die Augen. „Und woran können Sie erkennen, dass dieses hier ein böses ist? Für mich sieht es aus wie das andere, von dem ich Ihnen das Foto gezeigt habe.“
„Man kann es von außen nicht sehen. Man kann es nur fühlen. Und ich spüre, dass darin ein böser Zauber steckt.“
Na klar! Schwarze Magie, weißer Zauber! Böses Juju, gutes Juju! Ondragon war es leid, sich von
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