Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition)
und Clubs, und von einem beleuchteten Balkon warf jemand mit vollen Händen die berüchtigten glitzernden Plastikketten herunter, die begeistert von den Passanten aufgesammelt und um den Hals gehängt wurden. Die Stimmung auf der Straße war fröhlich und ungezwungen. Das fand man nicht oft in den USA, und nirgendwo in diesem prüde verklemmten Land sah man in der Öffentlichkeit leicht bekleidete Mädchen neben gestandenen Countryrockern in Lederkutte stehen und das Publikum mit lockeren Sprüchen in die Läden locken … außer in New Orleans. Ein ironisch zwinkernder Stachel im Fleisch der puritanischen Tugendhaftigkeit.
Ondragon hätte diese einmalige Atmosphäre auf der Bourbon gerne genossen, doch das Päckchen aus Zeitungspapier in seiner linken Hand und die Tatsache, dass man ihn massiv in den Fall mit hineinzuziehen beabsichtigte, hatte ihm die Laune gründlich verhagelt.
In der ruhigeren Seitenstraße fand er die rote Tür mit der Nummer 34 sofort und steckte den Schlüssel ins Schloss. Die Tür öffnete sich mit einem leisen Knarren und gab den Blick auf einen schummrig beleuchteten Gang frei, der mit Farnen in Hängetöpfen geschmückt war und zu einer weiteren Tür führte, vor der ein altes Männchen auf einem Barhocker saß. Er war runzlig wie eine Rosine, aber angetan mit feinem Zweireiher und keckem Jazzhut. Über ihm leuchtete das rote Lämpchen einer Überwachungskamera. Ondragon vermied es, direkt hineinzublicken und zeigte dem Opa den Schlüssel.
Der zeigte eine Reihe gesunder, weißer Zähne und sagte: „ Entrez , s’il vous plaît . Amusez-vous bien, Monsieur .“ Lächelnd zog er die Tür auf und Ondragon trat ein.
Dämmriges Licht und Stimmengewirr empfingen ihn. Und exotische Trommelmusik. Sie endete abrupt, als Ondragon sich durch den Eingangsbereich zum Hauptraum vorgearbeitet hatte. Vor ihm öffnete sich ein relativ kleiner, aber in einem geschmackvollen Mix aus moderner Lounge und Kolonialstil eingerichteter Salon. Linkerhand befand sich eine Bar mit einem kolossalen, vergoldeten Barockspiegel an der Wand und einer großen Auswahl an alkoholischen Getränken. Rechterhand stand mindestens ein Dutzend flacher Loungetische mit bequemen Sesseln, und an der Stirnseite des Raumes tat sich eine Art Bühne auf. „Voodoo-Child“ stand in Oldschool-Neonlettern über dem mit weißen Voodoo-Ornamenten bestickten, violetten Samtvorhang, vor dem eine dunkelhäutige, barbusige Schönheit gerade ihre Vorstellung beendet hatte und sich mit einer graziösen Verneigung zurückzog. Ondragon sah sich unauffällig unter den Gästen um und versuchte, den Laden einzuschätzen. War das hier ein Edelpuff? Oder bloß der billige Abklatsch einer New-Orleans-Nackttanz-Bar?
Die rund fünfzig Männer und Frauen, die an den Tischen saßen oder an prunkvoll geschnitzten Holzsäulen lehnten und sich unterhielten, waren gemischten Alters und hip gekleidet. Ihr Applaus für die Tänzerin war anerkennend und ihre vornehme Zurückhaltung verriet Understatement und Geld.
Ondragon klemmte sich das Zeitungspäckchen unter den Arm und suchte die Gesichter nach Madame Tombeau ab. Doch die Voodoo-Queen war nirgends zu entdecken, obwohl dieses Etablissement laut Natalie ihr Club war. Nun gut, dann würde er eben warten. Die Ladengehilfin hatte ihm in ihrer freundlichen Manier schließlich zu verstehen gegeben, dass Madame ihn finden würde.
Er ließ sich an der Bar nieder, von wo aus er mit Hilfe des Spielgels einen guten Überblick über den Raum und die Leute hatte, und bestellte sich einen „Zombie “ . Bei all dem Ärgernis in den letzten Stunden verspürte er die unbändige Lust, dieser Ironie freien Lauf zu lassen. Er legte das unappetitliche Päckchen auf den Tresen und nippte an dem fruchtigen Rum-Cocktail.
Auf der Bühne wurden derweil von zwei weißgekleideten Frauen diverse Utensilien platziert: ein Totenkopf mit einer brennenden Kerze auf dem Schädeldach, ein Tonkrug, ein weißes Huhn mit gebundenen Beinen und eine Schüssel.
War eine von den Frauen nicht Natalie?
Ondragon versuchte mehr zu erkennen, doch das flackernde Licht der mehrarmigen Kandelaber zu beiden Seiten der Bühne reichte nicht aus. Die beiden Frauen in den weißen Röcken schienen einem streng festgelegten Zeremoniell zu folgen, sie bewegten sich betont feierlich und jeder der Gegenstände musste an der richtigen Stelle abgelegt werden. Am Ende zeichneten sie mit einem weißen Pulver ein großes Schlangenbildnis auf den vorderen Teil
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