Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition)
Praktiken der Magie eingeweihte Person kann Sie vor seinem Zauber beschützen. Er wird Ihnen folgen, vielleicht bis nach Haiti, aber ich werde bei Ihnen sein und helfen, ihn zu besiegen! Dem Bokor gehört das Handwerk gelegt, denn er zieht die Ehre unserer Profession in den Schmutz! Das kann ich nicht zulassen. Verstehen Sie das?“
Ondragon wusste noch immer nicht, ob er sich auf seiner Mission mit dieser Frau belasten sollte. Das konnte riskant sein. Andererseits hatte sie bewiesen, dass sie einen wachen Verstand besaß und im passenden Augenblick erfreulich pragmatisch sein konnte. Zumindest wusste sie, wie man ein Auto kurzschloss. Und das tat nicht jede Frau.
„Können Sie mit einer Waffe umgehen?“, fragte er sie.
„ Bien sûr! “ Sie sah ihn selbstbewusst an. „Wir leben doch in Amerika, oder nicht?“
Ondragon überhörte den Anflug von Spott und wägte ihren Nutzen ab. Schließlich lehnte er sich vor. Als Frau bot sie ihm eine gute Tarnung und wenn es brenzlig werden würde, konnte er immer noch Egoist sein und seine eigene Haut retten. „In Ordnung, Madame! Ich nehme Sie mit“, sagte er und streckte seine Hand aus. „Aber unter zwei Voraussetzungen: Sie reden so wenig wie möglich über Voodoo und Sie lassen ihre Highheels zu Hause!“
Mit einem grimmigen Lächeln schlug die Madame ein, erstarrte aber jäh, als ihre Hand die seine berührte. Mehrere Herzschläge lang saß sie da und sah ihn reglos an. Nein, sie sah nicht ihn direkt an. Ihr Blick war trüb und entrückt, so als blicke sie über seine Schulter hinweg in eine andere Welt.
Unheimliche Stille breitete sich aus, und plötzlich schienen all die Masken und Fetische aus dem Zauber-Laden zu ihnen in den Raum zu dringen, der bis vor kurzem noch ein nüchtern eingerichtetes Büro gewesen war.
„Was ist?“, fragte Charlize an Ondragons Seite besorgt. Unbehaglich rutsche sie auf dem Stuhl hin und her.
Aber Ondragon wusste es auch nicht, er konnte sich nicht rühren.
Mit einem Mal blinzelte die Madame und raunte: „Ihr Marassa war da. Er hat sich gezeigt! Es ist Ihr Zwilling, Paul.“
Ondragon schreckte verblüfft zurück und ließ die Hand der Priesterin los. Sofort verebbte das Kribbeln auf seiner Handfläche, und stattdessen erfüllte ein elektrisches Knistern die Luft. Was, zum Teufel …? Woher wusste die Madame, dass er einen Bruder hatte? Sein Kopf schnellte herum zu Charlize.
„Hast du ihr von meinem Bruder erzählt?“, fragte er verärgert.
Charlize befeuchtete nervös ihre Lippen.
„Das hat sie nicht!“, ergriff die Madame das Wort. „Er selbst hat sich mir offenbart. Dort in dem Spiegel hinter Ihnen an der Wand. So, wie er sich Ihnen bereits des Öfteren gezeigt hat, nicht wahr, Paul? Draußen im Sumpf. Er hat Ihnen geholfen … Dieses Mal.“
„Was soll das? Ist das wieder eines Ihrer Spielchen!“, blaffte Ondragon die Priesterin an.
„Kein Spiel. Die Macht der Geister! Ich habe die Fähigkeit, in ihre Welt zu blicken. Die Marassa sind die göttlichen Zwillinge. In unserem Glaubensuniversum gibt es immer zwei Aspekte. Tag und Nacht, Mann und Frau, gut und böse. Die Zwillinge verkörpern diese Vollkommenheit und jeder, der als Zwilling geboren wurde, wird von seiner Familie und der Gemeinde zutiefst verehrt. Doch etwas ist bei Ihnen seltsam …“ Sie runzelte die Stirn, ganz so als sähe sie noch immer ins Jenseits. „Ihr Marassa hat eine seltsame Aura, nicht die eines Loa und auch nicht die eines Geistes aus dem Totenreich. Sie wirkt eher lebendig. Wie … ist das möglich?“ Die Madame hob die Augenbrauen. „Dafür kann es nur eine Erklärung geben: Die Wiedervereinigung ist nicht vollkommen. Ihr Bruder ist …“
„Wenn Sie nicht gleich mit diesem Mist aufhören, dann ändere ich meine Meinung und nehme Sie nicht mit!“ Ondragon war von dem Stuhl hochgefahren und funkelte die Priesterin böse an. „Ich will nicht über meinen Bruder sprechen. Klar? Er ist schon seit über dreißig Jahren tot und damit basta!“
Stumm blickten ihn Madame Tombeau und Charlize an.
Hatte er etwa so laut geschrien?
Er ließ die Schultern hängen. Das mit Per Gustav ging ihm an die Nieren. Seit der psychotherapeutischen Behandlung in der Cedar Creek Lodge lastete sein Tod schwer wie ein Sargdeckel auf seinem Gewissen. Mit der Hand fuhr er sich über die gereizte Gesichtshaut. Dass sein Bruder ihm im Sumpf erschienen war, dafür gab es eine vernünftige Erklärung. Er hatte aufgrund des Wassermangels fantasiert und ihn
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