Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition)
um die Leute zu täuschen. Leider hatte er sich zu sehr von seinen Vorurteilen leiten lassen und war darauf reingefallen. Ein grober Fehler!
Mit verdrossener Miene lauschte er weiter.
Unterdessen fragte Rod: „Wie ist das so, als Voodoo-Priesterin zu leben, wenn ich fragen darf?“
„Es ist eine Mischung aus verschiedenen Berufsgruppen. Am Ehesten kann man es mit dem Leben eines Seelsorgers, Lebensberaters, Entertainers und“, sie lachte leise, „Popstars vergleichen. Vodou -Priester genießen nämlich ein hohes Maß an Prominenz. Nicht nur in Haiti, auch in allen Exklaven des Vodou -Kultes. Wir sind so etwas wie Celebrities mit spiritueller Aura.“
„Sie sagen das, als ob Sie das nicht ganz ernst meinen.“
„Oh, ich meine das alles vollkommen ernst. Aber im Vodou wird nicht so sehr im bitteren Ernst gesprochen wie zum Beispiel im Katholizismus. Wir sind eine sehr undogmatische und elastische Religion. Ein Ritual folgt zwar immer einem bestimmten Ablauf, aber es kann auch Abweichungen geben, sogar schon von Priester zu Priester, denn jeder hat seinen eigenen Meister-Gott, seinen Loa mèt-tèt. Desgleichen verhält es sich mit unseren Göttern, die sich zwar in ihrem typischen Habitus zeigen, wenn sie sich in den Sattel eines Menschenpferdes schwingen und seinen Seelen-Engel, den Gros-bon-ange, für einem Moment verdrängen, aber auch hier folgt es keiner strikten Regel. Wir sind ein lebendiger Glauben, der den Menschen direkt mit einbezieht. Und der Mensch selbst ist unberechenbar, das wissen wir. Es gibt ein haitianisches Sprichwort: In die Kirche geht man, um mit Gott zu sprechen, in den Tempel geht man, um ein Gott zu sein.“
„Weil die Götter in der Trance von den Menschen Besitz ergreifen und durch sie sprechen?“
„Nicht ganz. Besser wäre, sie leben durch sie. Sie laden den Menschen mit ihrer Energie auf. Das muss nicht immer positive Energie sein. Wir haben auch eine ganze Dynastie von Göttern, die der Schattenseite angehören.“
„Dämonen und Teufel.“
Wieder lachte die Madame. „So würden Sie das bezeichnen mit Ihrer, verzeihen Sie, westlichen Schwarzweißerziehung. Gut und Böse. Engel und Teufel. Das ist auch ein Prinzip, das wir kennen, nur dass ein Loa, der zu der Schattenseite zählt, auch Gutes erwirken kann. Es sind sehr erfahrene Götter, die deshalb oft um Rat angerufen werden. Aber sie treiben auch gerne Schabernack. Sie sehen also, unser Universum ist weit komplizierter.“
„Und wie ist das, von einem Loa ‚geritten‘ zu werden?“
„Es ist der totale Verlust der Kontrolle. Für einen westlich geprägten Menschen der absolute Albtraum. Für einen Vodou -Anhänger jedoch ein heiliger Augenblick. Die Energie des Loa fährt in einen wie ein Blitz, der aus Himmel und Erde zugleich in den Körper trifft. Er vereint die Welt der Menschen mit der der Mystères, der Geister. Alles ist eins. Das eine durchdringt das andere.“
„Das ist wirklich faszinierend. Aber wie können Sie davon leben? Ich meine, wollten Sie nie zurück in die ‚normale‘ Welt? Sie haben einen Universitätsabschluss und könnten jede Menge Geld in irgendeiner Führungsetage verdienen.“
Die Madame stieß einen amüsierten Laut aus. „Durch meine Profession bin ich hinreichend versorgt, falls es Sie beruhigt. Und wenn mir Geld wichtig wäre, dann hätte ich auch einen Platz in dieser Welt eingenommen, die vom Geld regiert wird. Ich bin jedoch froh, abseits der Fremdbestimmung durch das Streben nach Geld leben zu dürfen. Und ich habe diesen Schritt nie bereut. Ich fühle, dass ich das Richtige tue, das Richtige bin ! Das ist so, wie Sie es von sich berichtet haben, Mr. DeForce. Sie leben in diesem Sinne auch nicht in der ‚normalen‘ Welt. Sie leben von und für die außergewöhnliche Herausforderung und machen den Job in erster Linie aus Leidenschaft, und nicht, weil er Sie reich macht. Genau wie Mr. Ondragon. Er scheint mir sehr von etwas getrieben zu sein, das sich nicht mit simplen Worten beschreiben lässt. Geld ist es in jedem Fall nicht. Er liebt das Rätselhafte, nicht wahr?“
„Das haben Sie gut erkannt, Madame. Paul ist ein wirklich besonderer Mensch, und ich kann mich glücklich schätzen, ihn zum Freund zu haben. Es gibt nicht viele seines extraordinären Schlages auf der Welt.“
„Er hat mal für Sie gearbeitet, Mr. DeForce?“
„Ach bitte, nennen Sie mich Rod, ich mag das Förmliche nicht so, das erinnert mich an meine Zeit auf dem Internat in England.“
„Gern,
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