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One: Die einzige Chance (German Edition)

One: Die einzige Chance (German Edition)

Titel: One: Die einzige Chance (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Elsäßer
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in ihrem Gesicht leuchteten. Schweißperlen glänzten auf ihrer Stirn. Mit der Hand packte sie einen dicken roten Zopf und legte ihn sich über die rechte Schulter. »Geht das?«, blaffte sie ungeduldig und fuchtelte mit dem Handy herum, als würde sich dadurch der Empfang verbessern. Aus der Nähe betrachtet sah sie aus wie aus einem Hippiefilm entsprungen. Vielleicht gehörte sie irgendeiner Bewegung an, die zurück zur Natur wollte oder so. Auch in Hongkong gab es diesen Trend. Einige Leute wühlten sich sogar nachts durch die Container der großen Hotels, um nach genießbaren Lebensmitteln zu suchen. Nicht aus Geldmangel, sondern weil es ihre Überzeugung war. Erst vor Kurzem hatte sich sein Vater darüber aufgeregt, dass man ein paar von ihnen deshalb ins Gefängnis gesteckt hatte.
    »Ich hab im Anschluss eine Kundenfahrt«, sagte der Taxifahrer. Er konnte seine Verachtung für das zugegebenermaßen etwas heruntergekommene Mädchen nicht verbergen. Sein Blick haftete an den ungewaschenen Füßen, die in kaputten Flip-Flops steckten.
    »Zur nächsten Werkstatt, bitte«, sagte Samuel. »Ist bestimmt eine in der Nähe.«
    »Das ist aber ein Umweg«, grummelte der Taxifahrer.
    »Ich bezahle.«
    »Da hören Sie’s, er zahlt«, sagte das Mädchen forsch und blickte ihn im nächsten Moment abwartend an.
    »Meinetwegen. Dieser Tag ist ohnehin schon eine Katastrophe!« Der Taxifahrer starrte dem Mädchen direkt in die Augen. »Gehörst du zu den Chaoten, die hier alles lahmlegen?«
    »Wenn es Sie beruhigt«, sagte sie selbstbewusst, fast arrogant, »diese Chaoten kämpfen für alle. Auch für Sie.«
    »Für mich!«, schnaubte der Taxifahrer. »Bestimmt nicht. Ich suche mir selbst aus, wer für mich kämpfen darf.«
    Damit war die Unterhaltung beendet.
    Gemeinsam schoben sie den Van in eine Haltebucht neben einen überquellenden Mülleimer. Zur nächsten Werkstatt waren es nur wenige Kilometer. Sie war geschlossen. Trotzdem wollte das Mädchen, Fabienne, wie Samuel mittlerweile wusste, dort aussteigen. Zum Abschied umarmte sie ihn, als seien sie gute Freunde.
    Samuels Handy hatte wieder Empfang. Mehrere Nachrichten waren eingegangen. Seine Mutter, sein Vater, Kata und, als Letztes in der Reihe, die Nummer seiner Internet-Bekanntschaft. Um das Chaos perfekt zu machen, stand da verpackt in eine Entschuldigung, dass sie wegen der Unruhen die Stadt verlassen habe. Es täte ihr leid. Sie hatte ihm einen Link mit Hostels angehängt.
    »Scheiße!«, fluchte Samuel, während er seiner Mutter eine SMS schrieb, dass er gut angekommen war. Er hatte jetzt keine Lust zu sprechen.
    »Was ist?«, fragte der Taxifahrer und schielte zu ihm herüber. »Stress mit ’ner Frau?«
    »Nein.« Samuel drückte auf »Senden« und rief die Mail seines Vaters mit der Adresse des Studienfreunds auf. Eigentlich gab es keinen Grund, das Angebot auszuschlagen. Er musste niemandem etwas beweisen. Wozu auch? Und er war hundemüde, sehnte sich nach einer Dusche und einem sauberen Bett. Morgen würde er die Welt in einem anderen Licht sehen. »Richtungsänderung«, sagte er und hob einen Mundwinkel. Er las das seltsame Wort wie ein Kind, das vor Kurzem das Alphabet gelernt hatte. »Gutleutviertel.«
    »Klein-Venedig?« Der Mann seufzte. »Wieder ein Umweg. Du hast es drauf, einem die Laune zu verderben.«
    Samuel verdrehte die Augen und zog sein Portemonnaie aus der Tasche. Sein Vater hatte ihm deutsches Geld hingelegt. Der Anblick der Fünfzig-Euro-Scheine ließ den Taxifahrer seinen Widerstand vergessen.
    »Hast wohl zu viel davon.« Der Mann nahm ihm die Scheine aus der Hand. »Aber wenn irgendwas an den Wagen kommt …«
    »Zahl ich auch dafür«, stöhnte Samuel. »Können wir jetzt bitte losfahren? Ich bin müde und will endlich ankommen.«
    »Kein Problem, Meister. Wer zahlt, bestimmt. So läuft das.« Lächelnd steckte er die Scheine in sein Lederetui. »Dann werden wir uns mal eine schöne Strecke suchen. Wird aber nicht schnell gehen, bei den ganzen Sperrungen.«

Sechs
    Frankfurt | 17 Grad | Gewitter
    Samuel war eingenickt. Ein lauter werdendes Trommeln brach sich den Weg in sein Unterbewusstsein. Frühstückseier, die in sprudelndem Wasser tackernd gegen den Topfboden schlugen, daran erinnerte ihn das Geräusch. Für einen Moment glaubte er, nein, er hoffte , noch in Hongkong zu sein und die vertraute Stimme von Emilia zu hören, die ihn mit einem melodischen »Guten Morgen, Señor« aufweckte. Stattdessen spürte er ein unsanftes Rütteln an

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