One: Die einzige Chance (German Edition)
Ganz schnell musste es gehen. Ganz schnell.«
»Wahrscheinlich wegen der Börse. Ist ja überall die Hölle los.«
»Sogar sein teléfono hat er hier vergessen. Soll ich ihm etwas ausrichten, wenn er sich meldet?«
»Nur, dass er mich anruft.«
»Wie geht es Badawi?«
»Gut. Er hat den Flug gut überstanden. Danke für die Leine.«
»Dafür hast du dich schon bedankt.«
Der Rettungswagen fuhr davon. Neben ihm tauchte der Techniker auf. Erst jetzt bemerkte Samuel den schleifenden Atem des Mannes. Wahrscheinlich hatte er Asthma wie sein Vater. »Emilia, ich melde mich wieder. Ich muss los. Mein Bus kommt.« Wieder das Rauschen. Wieder die Unterbrechung. Er legte auf. Eine Sekunde länger und er wäre mit der Wahrheit rausgeplatzt.
Der Mann blickte ihn skeptisch an.
»Meine Mutter.« Samuel zuckte die Achseln. »Ich erklär ihr später, was passiert ist. Macht sich sonst Sorgen.«
»Verstehe«, sagte der Mann. »Hast du ihn gut gekannt?«
»Wen?«
Der Mann hob die Brauen. »Na, Weinfeld.«
Samuel schüttelte den Kopf. »Nein. Nein, er war ein Freund meines Vaters. Und Sie?«
Der Techniker schüttelte den Kopf und legte seine fleischige Hand auf Samuels Schulter, was komisch aussehen musste, weil er mindestens zwei Köpfe kleiner war. »Ist schrecklich, so was. Das geht an die Nieren. Solltest mit jemandem drüber sprechen. Der erste Tote ist der schlimmste.«
Samuel nickte. Wahrscheinlich hatte der Techniker schon öfter die Wohnung für die Polizei geöffnet. Deshalb wirkte er so abgeklärt, als wäre selbst ein Mord nichts Ungewöhnliches für ihn.
»Hab die Polizei erreicht«, sagte der Mann und zog seine Hand wieder zurück. »Aber bei dem, was gerade in der Stadt los ist, kann das Stunden dauern. Zuerst kommt ohnehin die Spurensicherung. Ist immer so, aber …« Ein Piepen unterbrach ihn. Der Techniker griff in seine Brusttasche und zog ein kleines Gerät heraus. Das Gehäuse war völlig vergilbt. »Ich seh schon, diese Nacht wird die Hölle.« Seine kleinen Augen starrten erwartungsvoll auf das altmodische Schwarz-Weiß-Display, das nach und nach einen schlecht leserlichen Text ausspuckte. »Na super. Mitten rein. Die Überstunden zahlt wieder keiner.« Er steckte den Apparat ein. »Kannst du deine Adresse bei den Nachbarn hinterlassen, für die Polizei? Die brauchen uns bestimmt noch als Zeugen. Ein Mord ist ja doch was Besonderes.« Er streckte Samuel eine Visitenkarte entgegen. »Dort kann man mich erreichen, wenn es noch Fragen gibt. Ich muss jetzt, sorry. Kommst du alleine klar?«
Alleine? Nein, verdammt noch mal! Er war müde, hatte gerade den ersten toten Menschen in seinem Leben gesehen und wusste nicht, wo er übernachten sollte. Es war wohl die ihm anerzogene Höflichkeit, die ihn dennoch zu einem Nicken veranlasste.
»Ist gut«, murmelte Samuel. Kaum hatte das letzte Wort seine Lippen verlassen, stürzte der Mann zurück auf die Straße. Samuel starrte benommen auf die Visitenkarte in seiner Hand. Vasili Papadeous – Brighton Ltd. Facility Management. Er steckte die Karte ein und wählte die Nummer seiner Mutter. Das Freizeichen war ein lang gezogenes Scheppern, das in ein verstümmeltes Besetztzeichen mündete. Samuel blickte sich um. Die rauchende Frau war wieder nach drinnen verschwunden und natürlich war die Haustür zugefallen. Er würde gleich morgen früh zur Polizei gehen und eine Aussage machen. Jetzt wollte er erst mal in ein Hotel, um sich zu waschen und zu schlafen. Zum Teufel mit dem richtigen Leben.
Kayan drückte die SIM-Karte aus der Plastikhalterung und schob sie in sein Handy. Mit angewinkelten Beinen saß er auf dem Kingsize-Bett des Hilton Hotels und versuchte sich zu entspannen. Der Flatscreen an der Wand hieß ihn willkommen, mit flimmernden Lettern und zwei Tippfehlern. Noch drei Leute standen auf seiner Liste. Ohne Pistole musste er auch sie auf unwürdige Weise töten. Er war außer Übung. Wie lange war es her, dass er das letzte Mal mit einem Messer getötet hatte? Vierzig Jahre? Damals war er besessen gewesen von einem tiefen Hass auf die Willkür des Staatsapparats und seiner Erfüllungsgehilfen. Und er war jung und ungestüm. Mit dem Messer zu töten, gehörte nicht in diese Zeit, nicht in dieses neue Leben. Natürlich könnte er versuchen, an eine andere Waffe zu kommen, aber dabei würde er unweigerlich Spuren hinterlassen. Zeitdruck war der größte Gegner für das perfekte Verbrechen. Unter Zeitdruck beging man Fehler und die konnte er sich nicht
Weitere Kostenlose Bücher