Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
One: Die einzige Chance (German Edition)

One: Die einzige Chance (German Edition)

Titel: One: Die einzige Chance (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Elsäßer
Vom Netzwerk:
Tod mit Dunkelheit verbunden. Vielleicht war dieser Mann gar nicht Justus, dachte Samuel. Das aufgedunsene Gesicht, die schwarz umrandeten Augen, der wulstige Nacken verschwammen zu einer grauenhaften Fratze. Ein Fremder. Die falsche Wohnung. Samuel zog sein Handy heraus, konnte aber den Blick nicht von dem Mann abwenden, als hoffte er auf ein Wunder. Der Fremde sollte endlich aus dieser entsetzlichen Starre erwachen. So verstrichen die Minuten, und nichts passierte. Samuel wollte die 110 wählen, aber seine Finger zitterten so stark, dass er mehrere Anläufe brauchte. Und dann keine Ansage, sondern nur ein Besetztzeichen.
    Unbeholfen drehte er den massigen Körper auf den Rücken. Ein Klappmesser mit geschwungenem Holzgriff kam darunter zum Vorschein. »Opinel« stand auf dem blutverschmierten Schaft. Er nahm das Messer in die Hand und betrachtete die abgebrochene Klinge. Das Blut war noch feucht. Der Mörder konnte nicht weit sein. Samuel legte das Messer neben die Telefonstation, als könnte er so die Ordnung wiederherstellen und den Mord rückgängig machen. Nach Sekunden des Zögerns riss er seinem Onkel das blutgetränkte Hemd auf und blickte auf tiefe Einstiche. Diesmal nur drei Wunden. Alle im Herzbereich, keine im Bauchraum. Wahrscheinlich hatte es der Mörder im Angesicht des dicken Fettpolsters für zwecklos gehalten, da hineinzustoßen. In einem Einstich unterhalb der Brustwarze meinte Samuel Metall zu erkennen. Er nahm das kaputte Messer und versuchte das abgebrochene Klingenstück herauszupulen, als könnte er damit seinen Onkel retten. Wieder das quellende Blut. Wieder dieser fürchterliche Geruch. Dann bewegte sich die Wohnungstür.
    Samuel ließ reflexartig das Messer fallen und griff hektisch nach seinem Handy, doch seine Hand zitterte so sehr, dass es ihm entglitt und mit einem Klirren auf den Fliesen landete. Ein Schritt von draußen, ein Fußtritt und die Tür schwang quietschend auf … Fabienne stand vor ihm. Ihr Gesicht starr vor Entsetzen. Sie brachte kein Wort heraus. Sie kniete sich neben Samuel.
    »Hast du die Polizei gerufen?«, fragte sie mit belegter Stimme.
    »Geht nicht«, stammelte Samuel. »Besetzt.« Mit bleiernen Armen zog er sein Handy aus der Blutlache und hielt es Fabienne hin, als müsste er seine Aussage beweisen. Als wäre sie die Richterin, die ihn von seiner Schuld freisprechen konnte, der Schuld, dem zweiten Toten innerhalb von drei Tagen in die Augen zu blicken.
    »Er ist tot«, murmelte Fabienne benommen. »Ist das Beste, wenn wir von hier abhauen.«
    »Aber …« Samuel wusste nicht, was er tun sollte. An Ort und Stelle sitzen zu bleiben, bis ihn jemand entdeckte, bis doch die Polizei kam, bis seine Eltern alarmiert wurden, erschien ihm als sinnvolle Alternative zu weglaufen, abhauen, sich aus dem Staub machen. Ein Mörder würde sich aus dem Staub machen. Aber er war kein Mörder. Er war nicht mal Zeuge, er war nur ein Teenager, der sich seine Heimat anschauen wollte und mitten in einen Albtraum geraten war.
    Fabienne erhob sich. An ihren Knien klebte Blut. »Ich … du … ich …«
    »Wirf meine Sachen raus …. und … und Badawi«, sagte Samuel mit heiserer Stimme und blieb hocken. »Ich will hier warten.«
    »Auf wen?«
    »Die … die Polizei. Ich kann nicht schon wieder weglaufen. Das ist kein Zufall, das kann kein Zufall sein. Ich muss hierbleiben.«
    »Wovon sprichst du?«, sagte Fabienne. »Was ist kein Zufall?«
    »Ich … ich hab vorgestern auch schon einen Toten gefunden. Der Mörder … das … das kann nicht sein«, stammelte Samuel und drückte auf Wahlwiederholung. Fabienne blieb unentschlossen in der Tür stehen.
    »Es gibt einen zweiten Mord?«
    Samuel nickte. »Ich hab damit nichts zu tun«, jammerte er. »Verstehst du? Dieser Weinfeld hat überall geblutet. Ich konnte es nicht stoppen.«
    »Aber was willst du der Polizei sagen?«
    Samuels Stimme zitterte. »Ich … ich hab keinen umgebracht.«
    »Das ist mir klar«, sagte sie ruhig, ging zwei Schritte in seine Richtung und reichte ihm die Hand. »Komm mit! Bitte! Hierbleiben ist die schlechteste Lösung.«
    »Aber ich muss eine Aussage machen. Und wo soll ich überhaupt hin?«
    »Das klären wir auf der Fahrt. Los, komm schon!«
    Samuel zögerte. Unzählige Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Unzählige Möglichkeiten. Richtig oder falsch.
    »Bitte«, wiederholte Fabienne. »Die versuchen bestimmt, dir was anzuhängen.«
    »Ich war es nicht!« Plötzlich meldete sich in der Leitung eine Stimme.

Weitere Kostenlose Bücher