One: Die einzige Chance (German Edition)
Samuel lachte mit ihr. »Hab selten was Scheußlicheres gegessen«, meinte sie und schob den Topf von sich weg. Dann wurde sie ernst. Ernst und freundlich, so blickte sie ihn jetzt an. »Eigentlich müsste das Handy gehen. Der Strom, der die Sendemasten versorgt, ist mittlerweile wieder angeschaltet.«
»Was hast du damals in Frankfurt gemacht?«, fragte Samuel.
»Was?«
»Du willst doch nicht behaupten, dass du in den Klamotten bei der Demo mitgelaufen bist … und dann der Wagen …«
»Das mit den Klamotten hab ich dir erklärt. Sind eine gute Tarnung. Den Wagen haben wir über eine Sharing-Plattform angemietet. Gibt genügend Leute, die begriffen haben, dass Teilen eine gute Sache ist. Glaubst du wirklich immer noch, dass wir hinter den Morden stecken?«
»Weiß nicht.«
»Das wäre total schwachsinnig. Damit würden wir uns selbst ein Bein stellen. Der Plan ist genau getaktet und du … du spielst darin keine Rolle.«
»Wie sieht denn die nächste Phase aus?«, fragte Samuel ehrlich interessiert.
»Wir werden Konten einfrieren, Gelder beschlagnahmen und die Spekulanten daran hindern, vom Chaos zu profitieren. So wie es Kyoti erklärt hat. Anschließend werden wir über Zeitungen und Flugblätter die Namen der Politiker veröffentlichen, die nicht unabhängig sind und sich als staatlich subventionierte Lobbyisten verstehen. Je nachdem wie schnell unsere Gegner reagieren, werden wir sämtliche Server mit Millionen gefakter Anfragen überfluten und damit lahmlegen.«
»Und das geht alles so einfach?«
»Wir haben dafür jahrelang geübt und Informationen gesammelt. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viele Journalisten heiß darauf sind, ihren Job richtig zu machen. Es gibt sogar Bündnisse.«
»Und wenn es klappt? Zieht ihr dann eine Mauer hoch, klaut den Leuten ihre Häuser und ihr Erspartes, gründet eine Einheitspartei und verteidigt euch gegen die miesen Kapitalisten?«
»Wir sind immer noch keine Sozialisten.«
»Stimmt. Das hat der große Kyoti ja auch gesagt. Baut ihm ein Denkmal und schreibt ihn in die Geschichtsbücher, als Messias.«
»Sind wir jetzt auf der Ironieschiene angekommen? Wir werden die Regierungen dazu zwingen, aufzuräumen und längst fällige Reformen durchzuführen. Es wird immer eine Klassengesellschaft geben, aber es kann nicht sein, dass eine reiche Minderheit nach und nach den Rest der Welt versklavt. Wir müssen diese Leute dazu bringen, einen Teil ihres Geldes als Steuer oder sonst wie der Allgemeinheit zukommen zu lassen.«
Samuels Handy piepste. Er war froh über diese Unterbrechung, weil er spürte, dass er Fabienne auf diesem Gebiet nicht gewachsen war. Sie erschien ihm wie eine religiöse Fanatikerin, die sich mit Haut und Haaren einer Ideologie verschrieben hatte. Das wenige, das in seinen Schulbüchern gestanden hatte, reichte nicht aus, um zu begreifen, was genau vor sich ging.
Am oberen Rand des Displays erschien eine Kurznachricht. Kata. Sie gratulierte ihm zum Geburtstag. Eine halbe Stunde zu früh. Warum hatte sie nicht angerufen? Bekam sie denn nicht mit, was gerade in Deutschland los war? War es ihr egal? Eine weitere Nachricht folgte. Samuel las nickend die Zeilen. Man hatte sämtliche Flüge gestrichen. Kata würde versuchen, so schnell wie möglich nach London zu kommen. Er schrieb ihr zurück, aber seine SMS ging nicht durch. »Scheiße!«
»Der feine Herr kann ja sogar fluchen. Bravo.« Fabienne deutete mit dem Kopf in den kargen Raum. »Willst du dich hinlegen?« Außer der Eckbank und dem Tisch mit dem Laptop gab es nichts, worauf man hätte schlafen können.
Fabienne stand auf, ging um den Tisch herum zu einer kleinen Anrichte und kehrte mit einer Isomatte und einem Schlafsack zurück. Sie legte die Matte auf den Boden und öffnete das Ventil, dann blies sie etwas Luft hinein und rollte den Schlafsack aus. »Ich kann im Sitzen schlafen.«
»Das kann ich auch.«
»Wir können uns ja abwechseln. Zuerst haust du dich zwei Stunden aufs Ohr, danach bin ich dran.«
»Gibt’s hier irgendwo ein Klo?«, fragte Samuel.
»Sicher, sogar mit freiem Blick auf die Sterne.« Fabienne schmunzelte. Dann bückte sie sich, fischte unter dem Tisch eine Rolle Klopapier hervor und warf sie Samuel zu. »Pass auf, dass dich kein Wildschwein anfällt.«
»Witzig.«
Tatsächlich konnte man den Himmel sehen. Ein starker Wind rauschte durch die Baumkronen. Samuel stand für ein, zwei Minuten nur reglos da und starrte nach oben. Der Waldboden unter seinen
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