One Night Wonder
will.
Ich sitze also in seiner optimierten Küche an einer eigenhändig heimgewerkten Theke, und er hat mir einen alkoholfreien Cocktail gebastelt. Marius steht Pfannen schwingend hinterm Herd und bewacht mit Argusaugen die brutzelnden Schweinemedaillons. Auf seiner tiefgeschnittenen Jeans mit viel Elasthan steht hinten »Miss Sexxy« drauf. Ich glaube, mich verguckt zu haben, schaue noch mal auf das kleine rote Schild und stelle fest, dass ich richtig gesehen habe.
»Du trägst Mädchenjeans«, sage ich lahm und freue mich schon auf die Geschichte, die er mir jetzt auftischen wird. Er schwingt herum und verknotet die Beine, ohne dabei zu taumeln.
»Hach ja«, sagt er und wedelt mit dem Pfannenwender.
»Habe ich im Internet ersteigert, aber da stand die Marke nicht dabei.«
»Ach so«, sage ich verständnisvoll, denke mir meinen Teil und belasse es dabei.
Marius widmet sich erneut seinen Medaillons. Er und ich haben uns in einer Gruftiediskothek kennengelernt. Ich war in der ungemein peinlichen Situation, nicht genug Geld dabeizuhaben. Da stand ich nun vor einer gelangweilt Kaugummi kauenden Kassenfrau und wusste nicht so recht, ob ich nun damit rechnen musste, in der Küche Teller zu waschen oder direkt von der Polizei verhaftet zu werden. Ich stammelte also vor mich hin, als mir jemand einen 20-Euro-Schein über die Schulter hielt. Ich griff danach wie nach einem Rettungsanker, bevor ich mich zu meinem edlen Spender umdrehte. Ich stand auf Augenhöhe mit einem Paar schwarzer Tape-Kreuze auf einer ansonsten nackten Brust. Ein Blick nach unten offenbarte einen sehnigen Waschbrettbauch, einen langen Lackrock und Plateauboots. Ich legte den Kopf in den Nacken und schaute in ein hübsches männliches Gesicht. Zuerst dachte ich, ich hätte ihn mir nur eingebildet. Er war einfach viel zu schön. Ich weiß noch, dass ich ein »Dankeschön« hauchte und mich endlich freikaufte. Draußen wartete ich auf ihn.
»Soll ich dir meine Adresse aufschreiben? Du bekommst dein Geld auf jeden Fall wieder!«, sagte ich, als er durch die Tür trat.
»Hi, ich bin Marius«, sagte er schlicht.
Mir schoss das Blut in die Wangen. »Ich heiße Lilly.«
»Und, Lilly, noch Lust, irgendwo etwas Warmes trinken zu gehen?« Bliebe zu erwähnen, dass ich damals noch mit Mark zusammen war und sofort skeptisch wurde. Er war hübsch, aber implizierte »etwas trinken gehen« nicht eindeutiges Interesse? Damals war ich noch nicht so weit wie heute. Ich zögerte also.
»Ich habe einen Freund«, sagte ich schließlich.
»Wie nett. Will er mitkommen?«, fragte Marius. Ich wurde zum zweiten Mal rot.
»Er ist zu Hause.«
»Dann gehen wir eben zu zweit.« Mit diesen Worten hakte er meinen Arm unter seinen Flokatimantelärmel und zog mich mit. Seitdem sind wir Freunde.
Ich nuckele gerade so an meinem Strohhalm, als der neue Mitbewohner auf der Bildfläche erscheint. David heißt er, ist geschätzte zwei Meter groß und will Lehrer werden. Biologie und evangelische Theologie, eine Kombination, die meiner Meinung nach an Unvereinbarkeit kaum zu überbieten ist. Seine schlanke Figur trainiert er mit Ausdauersport, hat Marius mir fasziniert erzählt. Sein unfreundliches Verhalten grenzt schon an Arroganz. Er sagt gar nichts, latscht zum Kühlschrank und nimmt eine Flasche Multivitaminsaft raus. Seine langen Beine stecken in einer Cordhose mit Schlag, die er mit einem Gürtel an seine schmale Hüfte getackert hat. Das moosgrüne T-Shirt passt gut zu seinen blonden Haaren. Er sieht nicht schlecht aus, aber ich glaube, er ist ein Muffel. Schwul ist er jedenfalls nicht. Der empörte Marius hatte letzte Woche das Vergnügen, seiner heulenden Ex die Tür öffnen zu dürfen.
»Ich möchte Alkohol!«, sage ich wie ein schmollendes Kind.
Marius reagiert sofort. »Du kannst nachher auch gern hier schlafen, Schatz.«
David rümpft deutlich hörbar die Nase. Ich schenke ihm einen herablassenden Blick, den er wortlos entgegennimmt, bevor er samt Saft wieder verschwindet.
»Okay«, antworte ich, und Marius strahlt.
»Wein oder Sekt oder was Härteres?«, will er wissen.
»Ach, schütte mir irgendwas hier in den Cocktail, was dazu passt.«
»Okay!« Marius zieht die Pfanne vom Herd und widmet sich dem Berg von Flaschen. Ich rutsche von meinem Barhocker und schleiche Richtung Küchentür. Von da aus habe ich einen klitzekleinen Ausschnitt von Davids Zimmer im Blick. Er hört Indie, danach sieht er auch aus. Auf einem Teppich liegen Bücher, und ich sehe ein
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