Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
One Night Wonder

One Night Wonder

Titel: One Night Wonder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kira Licht
Vom Netzwerk:
November. Zum Glück habe ich es nicht weit bis zur Bahn, und ich muss stramm laufen, damit ich die S-Bahn noch erwische.
    Im warmen Abteil denke ich dann an Marius, der in diesem Moment vermutlich kurz vor ’nem hysterischen Anfall steht, weil er einfach kein Shirt findet, das er auf der Party tragen kann. Weil es entweder nicht eng, nicht hip oder nicht kurz genug ist. Und das ist doch ein typisches Männerproblem, oder verwechsle ich da etwas?
    *
    Der Samstagmorgen ist grau und diesig. Ich schleiche kurz nach acht aus den Federn und lasse mich von der Dusche wach regnen. Beim Bäcker am Bahnhof kaufe ich mir mein Frühstück in Form eines Schokoladen-Muffins. Der Regionalexpress hat eine Dreiviertelstunde Verspätung, also nehme ich die S-Bahn. Samstags zu arbeiten ist blöd, aber in den heutigen Zeiten sollte man ja dankbar sein, überhaupt noch irgendwo arbeiten zu dürfen. Schließlich will ich nicht komplett von Papis Geld leben, so viel haben meine Eltern auch nicht.
    Die französische Modekette, bei der ich den Nebenjob habe, steht mindestens einmal im Jahr kurz vor der Pleite. In unserer Filiale schuften nur Aushilfskräfte, bis auf Gundis, unsere Chefin, und eine Festangestellte, die eigentlich Floristin gelernt hat. So viel zur Firmenpolitik. Zweimal im Jahr gibt es einen Ausverkauf, weil keiner weiß, wie lange die Ladenmiete noch gezahlt werden kann. Die Sachen sind meist quietschbunt und wild gemustert. Wenn ich abends das Chaos zusammenfalte, sehe ich aus wie eine schwarze Krähe über einem bunt gewürfelten Berg Innereien.
    Gundis hat die sechzig gerade überschritten, trägt raspelkurze bronzefarbene Haare und Hängerchen in Kleidergröße 48. Sie ist überall speckig, sogar an den Handgelenken. Keiner weiß, was sie eigentlich gelernt hat, aber sie leitet den Laden schon seit zehn Jahren und das mit einer stoischen Gelassenheit, die man leicht für Unlust halten könnte. Ihr Mann Herbert ist einen Kopf kleiner als sie und rückt an, wenn bei uns eine Glühbirne kaputt ist oder das Geländer mal wieder wackelt.
    So klein der Laden ist, er geht über zwei Etagen. Eine Maisonette-Abstellkammer quasi. Gundis thront meist hinter der Registrierkasse, die sie immer noch nicht richtig bedienen kann. Dabei trommelt sie mit ihren metallicblau lackierten Nägeln auf die abgeschabte Holztheke und gibt über jede Frau, die den Laden verlässt, ihr Urteil ab. Bei Gundis gibt es nur zwei Kategorien: »schönes Mädchen« oder »kein schönes Mädchen«. Egal, ob die Betreffende die zwölf noch nicht erreicht oder die dreißig schon überschritten hat. Männer übersieht Gundis völlig, insbesondere schnucklige Gay-Boys, die sich gern mal durch unsere hautengen Shirts probieren. Sie hält Homosexualität für eine Erfindung der neuen Medien. Ich finde, Gays sind die angenehmsten Kunden, immer super gepflegt, reizend und ordentlich. Die kämen nie auf die Idee, einen Fummel gedankenlos über die geölten Kleiderstangen zu pfeffern. Danach kann man das Teil nämlich wegschmeißen.
    Als ich mich vorgestellt habe, hat Gundis mir lange ins Gesicht geguckt und dann genickt, wobei sich ihr Doppelkinn in drei Etagen teilte. »Ja, die Lilly ist ein schönes Mädchen«, sagte sie zu mir und zu sich selbst. Ich muss wohl recht ratlos zurückgeschaut haben.
    »Wann kannst du morgen hier sein?«
    Damit hatte ich den Job. Außer mir arbeiten dort noch vier andere Studentinnen: Deborah, mit der ich mich richtig toll angefreundet habe; Sina, die lispelt und hüftlange blonde Haare hat; Ajda, die betörend orientalisch aussieht und Chemie macht; und Tine, die, glaube ich, nur vorgibt zu studieren und darauf wartet, dass sie schwanger wird. Oder dass wenigstens ihre verzogenen Katzen endlich Babys bekommen.
    Mama nennt unseren Verein »Das Mädchenpensionat« mit Glucke Gundis als Direktorin. Manchmal kommt es mir auch so vor. Gundis achtet darauf, dass wir genug essen und trinken, dass wir »hübsch« zurechtgemacht sind, und sie meckert liebevoll, wenn wir im Lager neue Ware anprobieren, anstatt sie zu sortieren.
    »Kein schönes Mädchen«, höre ich Gundis noch sagen, als ich den Laden betrete. An mir vorbei läuft eine ungeschminkte Brünette mit schlechten asiatischen Extensions. Ich nicke ihr zustimmend zu. Gundis hat sich mal wieder hinter der Theke verschanzt. Heute hat sie so viele Armbänder um, dass ich mich frage, ob sie die Hände überhaupt noch hoch bekommt. Ich sage nur: bis kurz unter die Ellenbogen.
    Gundis mag

Weitere Kostenlose Bücher