One Night Wonder
keine ungeschminkten Frauen. Sie hätte auch die Titanic nicht ohne ihren lila Lipliner und den Bronzing-Powder verlassen.
Ich bin da nicht ganz so fanatisch. Puder, okay. Wenn man irgendwo hingeht. »Irgendwo« schließt allerdings Aldi, Bäcker und Co. aus. Rouge ist hübsch, solange es in Maßen aufgetragen wird. Am besten mit leichtem Blaustich, das macht blass. Concealer, Abdeckpaste und Konsorten sind nicht so mein Fall. Lieber ein bisschen tot aussehen als zu gesund und makellos. Kajal ist die beste Erfindung der Welt. Am liebsten in Kohlrabenschwarz oder dunklem Violett.
»Lilly, träum nicht«, sagt Gundis und reckt gleichzeitig den Kopf nach einer weiteren Kundin.
»Schönes Mädchen«, sagt sie beifällig. Ich verdrehe die Augen und verziehe mich Richtung Lager, wo wir unsere Sachen ablegen können. In einem angrenzenden Kabuff ohne Fenster gibt es sogar eine Kaffeemaschine und einen Kühlschrank. Luxus pur also. Dort krame ich meine Ballerinas hervor, denn ich habe hier Stiefelverbot. Gundis bekam böse Atemnot, als ich das erste Mal mit meinen kniehohen Docs vor ihrem Thron, äh ihrer Theke, stand. Sie japste irgendwas von »Klumpfuß« und »kein schönes Mädchen heute«. Seitdem darf ich zwar mit den Boots anreisen, aber hier im Laden trage ich die personifizierte Niedlichkeit in Form von weichen Lederballerinas, aber immerhin mit lachenden, bronzefarbenen Totenkopfschnallen. Gundis hat die Schnallen zum Glück nicht richtig gesehen, dafür ist sie nicht aufmerksam genug.
Ich füttere das glucksende Monster namens Kaffeemaschine mit Pulver, das ein wenig nach Ammoniak riecht. Uff, so starker Kaffee ist eklig. Ich dosiere die Kaffeemenge ganz bewusst niedrig und freue mich schon auf Gundis’ schmerzverzerrtes Gesicht über der trüben Brühe. Sie mag ihren Kaffee so stark, dass er die Speiseröhre verfärbt.
»Hallo, Lilly!« Deborah steht wie aus dem Nichts aufgetaucht strahlend im Türrahmen.
»Debo, Lieblingskollegin!«
Wir lachen und geben uns Küsschen. Sie verstaut ihre Ledertasche mit den langen Fransen in einer Ecke und zieht sich den dicken schokoladenbraunen Cordmantel aus.
»Draußen ist es schon wie Winter«, sagt sie und putzt sich die Nase mit einem geblümten Stofftaschentuch. Ich kenne sonst niemanden auf dieser Welt, der bereit ist, seine Taschentücher zu waschen und auch noch zu bügeln.
»Ja, echt mal, gestern Nacht war’s noch schlimmer.«
Deborah ist einer der nettesten Menschen, die ich kenne, aber für Männer hat sie wirklich kein Händchen. Sie ist die Königin des Verarscht-und-abserviert-Werdens.
»Ich hab noch gar keine Lust, meine Winterpullover auszugraben«, sagt Debo und guckt frustriert.
Da ertönt Gundis’ Stimme von unten: »Räumt ihr Mädchen bitte oben auf und faltet dann die Neuware in die Regale!«
»Ja, Gundis«, ruft Debo nach unten.
»Und hat Lilly nicht Kaffee gemacht?«
»Ja, aber der ist noch nicht durchgelaufen«, sage ich zu Debo.
»Der ist noch nicht durch!«, ruft sie nach unten.
»Okay.« Gundis’ pikierte Stimme klingt nach Koffeinentzug. »Aber dann bringt mir bitte gleich eine Tasse runter, wenn er fertig ist, ja?«
»Klar doch!«
Debo und ich beginnen mit dem Aufräumen, obwohl es erst kurz nach zehn ist und die obere Etage noch einen relativ wohl sortierten Eindruck macht. Nach nur fünf Minuten allgemeiner Schönheitskorrekturen sieht alles wieder aus wie neu.
Ich bringe Gundis ihren Kaffee, kassiere eine Rüge für das Gebräu, das ich verzapft habe, und dann ein nachsichtiges Kopfschütteln. Ich täusche ein Husten vor, um mein Grinsen zu kaschieren.
Wieder oben angekommen, widmen Debo und ich uns den drei großen braunen Kartons mit Neuware, die wir mit Preisetiketten versehen und dann passend auf DIN-A-4-Größe in große Stapel falten. Wenn wir zusammen an dem großen Holztisch stehen, können wir uns super unterhalten. Ich nutze die Zeit, um Debo nach ihrer neuesten Eroberung auszufragen. Ich weiß schon, dass er Jura studiert und sich im Moment nicht fest binden will. Nur den Namen habe ich leider vergessen. An genau diesen Typ Mann gerät sie übrigens immer wieder: entweder frisch getrennt oder bindungsunwillig und/oder -unfähig.
»Als ich gestern bei ihm im Bad geputzt habe, stand da schon wieder ’ne neue Flasche Abschminklotion«, erzählt Debo gerade.
»Du putzt sein Bad?«
»Ja, er macht doch bald Examen, da hat er nicht so viel Zeit für so was.«
Aber Zeit, andere Frauen zu vögeln, hat er wohl
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