One Night Wonder
»Bekannte« auf seinem Handy anrief und er panisch den Tisch verließ, um zu telefonieren, war die Stimmung nicht mehr ganz so ausgeglichen. Als Debo dann noch eine halbe Stunde auf seine Rückkehr warten musste, wurde sie langsam ein wenig ungehalten. Sauer wird Debo, glaube ich, nie, sie weiß gar nicht, wie das geht, habe ich den Eindruck. Beim Verlassen des Restaurants rief die ominöse »Bekannte« dann wieder an. Angeblich eine Kommilitonin aus seiner Lerngruppe, mit unaufschiebbar wichtigen Fragen.
»Georg ist eben sehr gut in seinem Fach, das muss man respektieren«, sagt Debo ehrfürchtig, und ich weiß endlich, welchen Namen das Wunderkind hat. Ich spare mir meine Einwände und nicke resigniert. Ihr ist echt nicht zu helfen.
*
Gute fünf Stunden später stehe ich in einer »Düster-Disco«, wie meine Mutter es so gerne naserümpfend bezeichnet. Sie hat nur eine vage Vorstellung von der Szene im Allgemeinen, und als gute Mutter macht sie sich natürlich Gedanken. Als ich ihr aus Spaß mal erzählte, dass es dort um Mitternacht immer Blut auf die Tanzfläche regnet, hat sie den Witz nicht verstanden, weil sie den Vampirfilm Blade nicht gesehen hat, und war daraufhin nicht nur auf mich sauer, sondern auch auf den Laden.
Jetzt lehne ich also an einer rohen Backsteinwand und lasse mich von Christian volllabern, ich tue so, als ob ich zuhöre, und betrachte die schönen schwarz gekleideten Menschen, die sich an uns vorbeischieben. Ich liebe die Szene. Dafür, dass sie so langweilig unpolitisch ist. Dafür, dass hier keiner einen anrempelt, weil alle Angst um ihr Outfit haben. Dafür, dass Männer sich hier schminken dürfen, ohne ausgelacht zu werden. Dafür, dass alle hier Schwarz tragen, weil es einfach das Beste aus dem Farbkreis ist. Ich lächle versonnen, und Christian nimmt dies als Aufforderung, noch mehr zu labern. Er ist der Bekannte einer lieben Bekannten und mir eindeutig zu schön. Außerdem hält der gute Mann sich für Gottes persönliches Geschenk an die Frauenwelt, und schon allein das törnt mich ab. Er ist eine Dumpfbacke biblischen Ausmaßes. Seine blauen Augen sind trübe, und ich unterdrücke ein genervtes Seufzen. Gerade erzählt er, welche Bands er persönlich kennt: Das Ich, Oomph, Schandmaul, Eisheilig. Auch mit den Newcomern Jesus on Extasy ist er auf Du und Du.
Ich schnappe nur einige der Namen auf und denke mir meinen Teil. Außerdem bleibe ich sowieso nur bei ihm stehen, weil Jenny sich was zu trinken holen wollte und ich noch ein bisschen mit ihr plaudern möchte. Ich gucke auf Christians perfekt gestutzten Kinnbart und bekomme eine Welle seines Aftershaves zu riechen, als er näher an mich ranrückt, um Leute an sich vorbeizulassen. Er vögelt alles, was nicht schnell genug das Weite sucht. Soll mir egal sein, aber seine Wahllosigkeit ist erschreckend. Wenn ich alles sage, meine ich alles. Jenny kommt mit einem Drink wieder und hat zwei hübsche Jungs im Schlepptau. Ich kenne einen der beiden vom Sehen.
Jenny ist eine lebhafte schwarz gefärbte Gazelle mit beneidenswert üppiger Oberweite. Christian guckt auf ihr Dekolleté, das beim Gehen wippt, und ich warte auf einen Sabberfaden an seinem Kinn. Jenny hat ihre schlanke Taille mit einem Lackmieder noch schmaler gezurrt, dazu trägt sie einen hautengen Bleistiftrock, der unterm Knie endet. Den perfekten Abschluss bilden Strümpfe mit Naht und hohe Pumps mit Leomuster. Kein Wunder, dass die Fotografen sich um Sessions mit ihr schlagen. Ich mag Jenny, weil sie so angenehm fest mit beiden Beinen auf dem Boden steht.
»Lilly, kennst du Julian und Sven schon?«, fragt sie gerade und schenkt mir ein reizendes Lächeln. Ich schüttle den Kopf und reiche den Jungs die Hand. Sie sehen beide gut aus, aber nur der eine, den ich noch nie gesehen habe, hat einen prickelnden Sex-Appeal, der mich zweimal hinsehen lässt. Er schaut mich an, ich sehe ihn an, und zwischen uns sprühen Funken. Mit ihm will ich schlafen, das weiß ich nach drei harmlosen Sekunden. Ihm scheint es genauso zu gehen. Er schaut auf meinen Mund, und in seinen Augen blitzt es. Wir starren uns wortlos an, und das nicht gerade kurz. Jenny ist echt ganz schön flink. Sie erkennt die Situation und platziert sich so, dass er sich neben mich stellen muss. Dann verwickelt sie Sven und Christian in ein Gespräch. Ich könnte sie küssen vor Dankbarkeit. Julian lehnt sich neben mich an die Wand und zupft an seiner Lederhose. Dazu trägt er lediglich ein Netzshirt mit langem
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