One Night Wonder
»Es war schön mit dir.« Nein, danke. Apropos Handy. In meinem Endorphintaumel habe ich das Julchen ganz vergessen. Oh, da wird jemand sauer sein!
Und tatsächlich: Es ist zwar erst kurz vor neun, aber Jule kann schon richtig böse gucken. »Ich nehme mal an, der Abend war gut?«, begrüßt sie mich mit beleidigtem Blick.
»Sorry …«
»Jaja. Und wie war es?«
»Ganz okay.«
»Hast du’s also geschafft, du mit deiner Platzangst?«
»Ja, war nicht so schlimm.«
»Und sieht er echt so süß aus wie auf den Fotos?«
»Ja, noch besser.« Bloß nicht zu sehr schwärmen, dann zieht sie mich nur wieder auf und stellt meine tollen Regeln infrage. Doch Jule interpretiert mein Schweigen wohl als morgendliche Einsilbigkeit.
»Ich hole uns mal ’nen Kaffee, geh du schon mal Plätze freihalten!« Sie trippelt davon.
Das Gute an Jule ist, dass sie nie lange böse sein kann. Ich bin nämlich nicht gerade zuverlässig, was diese Simserei angeht.
Im Hörsaal ist es heute eindeutig zu hell und zu laut. Ich belege zwei Plätze in den hinteren Reihen. Jule kommt mit dem Kaffee wieder, den wir unter den Sitzen verstecken. Essen und Trinken ist zwar nicht verboten, wird aber nicht gern gesehen. Ich glaube, ich hab heute keine Lust, außerdem muss ich dauernd gähnen. In der letzten Sekunde stürzt Trudi in unsere Reihe. Die Kommilitonen murmeln verärgert, weil sie jetzt noch mal aufstehen müssen, aber dann ist sie bei uns angelangt.
»Schrecklich!«, sagt sie zur Begrüßung. »Warum müssen die Bahnen immer Verspätung haben!« Dann lässt sie sich in den Sitz neben mir fallen.
»Das ist ein Naturgesetz«, brumme ich.
»Schrecklich!«, sagt Trudi noch mal und schält sich aus ihrem Mantel. Trudi ist voll das Öko-Kind. Sie trägt Hosen mit Zugbändern an den Knöcheln, ohne sich zu schämen. Sie isst selbstgebackenes Brot, das immer nach Dinkel schmeckt. Und sie sagt Sachen wie: »Der Genmais bringt euch alle um.« Ansonsten ist sie total normal.
Der Dozent, der vorn soeben zu reden begonnen hat, trägt ’nen Vollbart und Gesundheitslatschen. Für ihn ist alles, was er erzählt, total verständlich und logisch. Ein Physiker eben. Ich bemitleide die Baumwolle, die für sein hässliches Karohemd herhalten musste, und unterdrücke ein weiteres Gähnen. Und ausgerechnet heute habe ich so lange Uni! Und die letzte Stunde ausgerechnet bei Jakob, und das, wo ich so fertig aussehe. Ob er wohl komisch sein wird wegen letztem Freitag?
*
Doch meine Sorgen stellen sich als unbegründet heraus: Jakob benimmt sich auch hier völlig normal, außer dass er plötzlich keine Probleme mehr hat, in meine Richtung zu schauen. Einmal nimmt er mich sogar dran, und wir lächeln uns an. Die Lästerer im Kurs können nur irritiert gucken.
Als ich um halb neun abends wieder nach Hause komme, bin ich zu müde, mir etwas zu essen zu machen. Ich krieche in mein Bett und will nur noch schlafen, am besten traumlos und sehr lange. Beim Einschlafen denke ich dann doch wieder an Lukas. Er hat mir gefallen. Zu gut. Diese Euphorie kenne ich nicht von mir. Ob ich das nun gut finden soll?
Morgens beim Aufwachen denke ich auch sofort wieder an ihn. Hm! So geht das nicht, ich brauche Ablenkung. Das ist die beste Medizin. Es war ein netter One-Night-Stand und mehr nicht. Also tagsüber arbeiten, und heut Abend mal wieder richtig nett weggehen. Ich simse Marius, ob er Lust hat. Seit Jule ihre Gothic-Phase hinter sich gelassen hat, betritt sie die Partytempel der Kinder der Nacht nicht mehr. Sie verleugnet diese Phase sogar. Ich allerdings kann mich noch sehr gut an das dürre EBM-Mädchen erinnern, das Hosen in Stiefel steckte und sich blaue Strähnen in die hellen Haare färbte. Sie hatte mehr schwarze Klamotten als ich, und ihr deftiger Lidstrich war berühmt-berüchtigt. Heute tut sie so, als hätte ich mir das alles ausgedacht. Es ist ja keine Schande, dass sie jetzt nur noch Jeans und Polo trägt, aber muss man sich deswegen so anstellen?
Doch Marius hat auch keine Zeit. Er bekommt Besuch aus Holland, näher definiert er es nicht in seiner kurzen SMS. Gut, gehe ich eben allein, ich bin ja schon groß.
Die Arbeitszeit geht zum Glück schnell rum, wir öffnen samstags erst um zehn und machen um vier schon wieder zu, das sind gerade mal sechs Stunden, also nicht wirklich lange. Debo liegt immer noch im emotionalen Clinch mit ihrem Juristen. Beim letzten Treffen hat er ihr Blumen geschenkt, was ihr sehr gefallen hat.
Als kurz darauf eine
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