One Night Wonder
Überschrift.
»Drei Liter kaltes Wasser, ein Suppenhuhn (ohne Innereien), eine Knoblauchzehe, eine Zwiebel, vier Möhren, eine Selleriestange, ein Bund frische Petersilie, 200 Gramm Sternchennudeln.«
Es ist das Rezept, nach dem David gekocht hat. Ich lese noch den Rest der Anleitung durch, vielleicht aus Sentimentalität, vielleicht aus Neugier. – Ich glaube, ich sollte lieber nicht kochen lernen, wenn mir bei jedem Anblick eines Rezepts so schwer ums Herz wird wie bei diesem hier.
Ich brauche mal wieder viel zu lange, um mich für ein Outfit zu entscheiden, außerdem hätte ich fast vergessen, meine Haare nachzutönen. Als ich nach dem Mantel greife, zögere ich doch noch einen Moment. Dann gebe ich mir innerlich einen Tritt: Ich bin ein großes Mädchen, ich bin wieder voll genesen, und heute wird sich amüsiert. Punkt!
Die Party ist schon in vollem Gange, als ich ankomme. Völlig unvernünftig habe ich meine neuen Peeptoe-Ballerinas angezogen. Na ja, ich bin ja mit dem Auto da und die Feier findet drinnen statt. Was soll mir schon passieren? Alles ist richtig nett, Janine hat von ihren Eltern das ganze Haus zur Verfügung gestellt bekommen, und ich glaube, die halbe Uni ist da. Und dann, wie aus dem Nichts, steht David vor mir.
»Hi Lilly, wieder gesund?«
»Ja, danke der Nachfrage.«
»Ich wollte mich melden, aber irgendwie …«
»Schon gut. Dank deiner Hühnersuppe habe ich ja überlebt.«
Er lächelt nur als Antwort.
»Und wie war’s bei Miriam?« Ich will es nicht wissen. Aber ich muss trotzdem fragen.
Er sieht mich lange an, scheint zu überlegen, ob ich Streit suche.
»War ganz nett«, sagt er schließlich.
»Und heute bist du allein hier?«
»Selbst wenn sie eingeladen wäre, müsste sie heute arbeiten. Nachtdienst. Sie ist Krankenschwester.«
Schön, so genau wollte ich es eigentlich gar nicht wissen.
»Und du bist auch solo hier, nehme ich an?«
»Ja.«
»Wieder auf Männerfang?«
Was soll denn diese Frage? Er kennt doch meine Einstellung. Glaubt er etwa, er hätte mir mein Herz gebrochen? Dass ich nicht lache. Was mich nicht umbringt … und so weiter.
»Ich fange Männer nicht, sie laufen mir so zu«, antworte ich deshalb.
»Nun, dann hoffe ich, du hast deine Hundekekse nicht vergessen.« Dann dreht er sich um und geht.
Was erlaubt er sich, so mit mir zu reden? Er hat eindeutig angefangen! Ich wollte ja nett sein, und er vergeigt es.
Wütend und verletzt schiebe ich mich an den Leuten vorbei zum Garten. Ich brauche frische Luft, kalten, harten Sauerstoff, sonst falle ich in mich zusammen. Draußen ist es schön, aber kühl. Janine hat sogar Lampions aufgehängt. Weiter hinten in Richtung der dunklen Tannen versinkt das ausladende Grundstück in dumpfer Schwärze. Der Garten muss so groß wie unser gesamtes Haus plus das der Nachbarn sein. Wenn nicht noch größer.
Wenn David meint, er muss sich mit mir streiten, soll er auch mit den Konsequenzen leben. Vielleicht ist es nur verletzte Eitelkeit bei ihm. Oder geknickter Stolz bei mir. Was auf dasselbe hinausläuft. Trotzdem pikst und sticht es, und zwar an einer Stelle, die mit dem Kopf nicht zu erreichen ist.
Ich spaziere ganz in Gedanken weiter, das kalte Gras kitzelt mich an meinen großen Zehen. Am Ende des Gartens ist es wirklich völlig dunkel. Kein Wunder, dass ich mich zu Tode erschrecke, als sich eine Gestalt aus der Schwärze der tief hängenden Äste löst.
»Nicht erschrecken«, sagt eine männliche Stimme.
»Du meine Güte …«, japse ich, während mein Herz rast.
»Sorry, das war nicht meine Absicht.«
Noch kann ich sein Gesicht nicht erkennen, aber der süßliche Geruch von Marihuana erklärt, warum er sich hier in der Botanik herumdrückt. Ein weiterer Schritt in meine Richtung offenbart schwarz gefärbte Haare mit langem Pony quer über der Stirn und ein gewinnendes Lächeln. Süß, aber zu jung.
»Christoph.« Er schmeißt den Rest des Glimmstengels hinter sich und streckt mir seine Rechte hin.
»Lilly.«
»Nett, dich kennenzulernen, Lilly.« Er baut sein Lächeln noch weiter aus und schaut mir unverschämt lange in die Augen. Wer hat dem Kind eigentlich Manieren beigebracht? Ich gucke sicherheitshalber weg, denn wenn er alt ist, ist er 17.
»Magst du was trinken?«, prescht er weiter vor.
»Hier draußen?«
»Von mir aus. Ich hole uns was. Wir können aber auch reingehen.«
»Nein, danke«, sage ich bestimmt. Er soll mir nichts holen. Er soll weggehen. Oder noch besser, ich gehe. Es hat schon
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