Oneiros: Tödlicher Fluch
Grabpflegegerätschaften bewaffnet. Ungesehen konnte er Arctander hier nicht erledigen.
Zu viele Zeugen.
Thielke blieb an ihm dran, wartete auf eine bessere Gelegenheit.
Der Schwede ging zurück, quer über den Friedhof, zur Straße.
Okay, jetzt muss ich es wagen, sonst ist er …
Thielke wollte den LeMat ziehen und den Kopf des Narkos mit zwei, drei Schüssen über den Bürgersteig verteilen, da klingelte es schrill und hektisch neben ihm.
Aus dem Augenwinkel sah er einen wippenden rosafarbenen Wimpel auf Gesichtshöhe, dann raste etwas zwischen seine Beine, ein harter Gegenstand knallte in seine Genitalien. Eine Kinderstimme quietschte erschrocken auf, während er nach hinten auf den Rücken fiel und geistesgegenwärtig die Hand vom entsicherten Abzug des Revolvers nahm.
Jemand schien ihm eine Bowlingkugel auf die Eier geschmissen zu haben, ihm wurde schwarz vor Augen. Als die Sicht zurückkehrte, wurde er von spanisch sprechenden Leuten auf die Füße gestellt. Man redete entschuldigend auf ihn ein, während vor ihm ein kleines Mädchen neben seinem rosafarbenen Fahrrad stand. Sie war es, die ihn wohl aus Unachtsamkeit umgemäht hatte. Sie packten ihm seine Kameratasche über die Schulter, klopften den Schmutz ab.
»Schon gut, schon gut.« Thielke fuchtelte mit den Händen und wehrte die gut gemeinten Berührungen ab, bevor sie aus Versehen den LeMat bemerkten oder gar auslösten. »Nada, nada.«
Er blickte in Richtung des Ausgangs und sah gerade noch, wie der Narko in ein Taxi einstieg.
Scheiße.
Thielke hinkte durch den besorgten Menschenpulk, schubste das kleine Mädchen zur Strafe um und verlor wichtige Sekunden, in denen er auf ein freies Taxi warten musste. Eine Handbewegung brachte das nächste zum Anhalten.
Unter den Beschimpfungen der Eltern und dem Heulen des Kinds schwang er sich auf den Beifahrersitz. Der Wagen mit Arctander war lange verschwunden.
»Wissen Sie vielleicht, in welchem Stadion heute Abend ein Spiel mit einer Mannschaft aus Barcelona stattfindet?«
»Si, Señor. Im Estadio Santiago Bernabéu. Barça gegen Real, ein Duell der Champions«, sagte der Fahrer stolz, als gehörte er zur Mannschaft. Auf dem Armaturenbrett war ein Schildchen mit seiner Lizenz festgeklebt. Er hieß Miguel, die restlichen Angaben hatte die Sonneneinstrahlung unleserlich gemacht. Kurzer Bart, lange schwarze Haar, ein Spanier wie vom Plakat einer Tourismuskampagne.
»Dann fahren Sie mich dahin.«
»Haben Sie Karten, Señor?«
»Kann man die nicht da erstehen?«
Miguel lachte lauthals. »Das Spiel ist schon lange ausverkauft, Señor. Soll ich Sie trotzdem fahren?«
»Ja. Geben Sie Gas, Kollege. Ich muss da hin.« Thielke konnte sich notfalls mit dem LeMat ein Ticket besorgen. »Wissen Sie zufällig, wie viele Leute im Stadion sein werden?«
Miguel fuhr los und kurvte zügig durch den abendlichen Stoßverkehr, der nicht ohne war und von ihm gewisse Fertigkeiten forderte, die auch ein Torero haben sollte: Reflexe und ein gutes Augenmaß. »Na, da ausverkauft ist, würde ich sagen etwa achtzigtausend Menschen. Es ist ein tolles Stadion, Señor. Aber da Sie keine Karten haben, werden Sie es leider nicht von innen sehen.«
»Wird schon.« Thielke war froh, seine Waffe dabeizuhaben. Zwölf Millimeter, mitten durch den Kopf, würden das Leben des Narkos beenden. Zumindest soweit es zählte. Am besten, er jagte das ganze Magazin in ihn, um sicher zu sein. In seiner anderen Tasche hatte er den Wellengenerator. Ob er nahe genug an Actander herankam, damit das Gerät seine Wirkung entfalten konnte, bezweifelte er allerdings.
Die quälend lange Fahrtzeit, die von vielen unfreiwilligen Stopps wegen der Staus unterbrochen wurde, nutzte Thielke, um die eben gemachten Fotos zu sichten. Er zückte sein Smartphone und checkte die Medikamente, die sich Arctander am Grab seines Urgroßvaters eingeworfen hatte, im Netz.
Die Pillen namens Modafinilin und Oxybatan hatten Wirkstoffe, die wach hielten und die Konzentration fördern sollten. In Foren wurden sie im Zusammenhang mit Narkolepsie genannt; dazu passten die Mittel Clomipramin und Reboxetin, die gegen Kataplexie wirkten oder zumindest Muskellähmungen und Halluzinationen unterdrückten. Die andere Pille mit dem schönen Namen WU stand für Wake up: Koffein, Guarana und pflanzliche Wirkstoffe zum Ankurbeln des Kreislaufs.
Thielke konnte nicht abstreiten, dass Arctander alles tat, um gegen seine Krankheit anzukämpfen – aber ob es ausreichte?
In einem Stadion
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