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Oneiros: Tödlicher Fluch

Oneiros: Tödlicher Fluch

Titel: Oneiros: Tödlicher Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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brachten keine Verbesserung, außer ihm und seinem kleinen Kreis – solange man loyal war, sonst wurde man an die Hunde verfüttert. So lief das rücksichtslose, egoistische Spiel, an dem sie früher teilgenommen hatte.
    »Gut«, sagte er mit seiner ruhigen, dunklen Stimme, die ihr eine Gänsehaut verursachte. »Ich kann dir sofort zehn Millionen für den Umzug überweisen. Ich schicke dir die Nummer eines Transportunternehmens, das keine Fragen stellt und alle nötigen Papiere besorgt.«
    »Danke«, raunte sie und starrte auf den Bildschirm.
    Sie hoffte, noch einmal sein ganzes Gesicht zu sehen. Weil sie ihn vermisste, schrecklich vermisste. Seinen Geruch, die Berührungen, die gemeinsamen Stunden. Am meisten litt sie darunter, sein Lachen nicht mehr hören zu dürfen. Er hatte es ihr entzogen. Für immer.
    »Ich will mein Ärzte-Team verstärken«, fügte sie zögerlich hinzu.
    »Noch mehr Geld?«
    Anatols linke Hand wurde sichtbar, ebenso ein kleiner Punkt zwischen zwei Fingern. Eine unscheinbare Tätowierung. Doch der Punkt stand für zehn Jahre im Gefängnis. Die drei Punkte zwischen seinem Daumen und Zeigefinger wiederum bedeuteten: Glaube niemandem, habe keine Angst vor niemandem, frage nach nichts.
    »Bitte. Für unseren Sohn!« Kristin kannte jedes Symbol, das in seine Haut gestochen worden war.
    Die Sterne auf den Knien meinten, dass er niemals vor jemandem kniete und nicht diente. Der Tiger auf seinem Rücken stand für das sibirische Gefängnis, in dem er gesessen hatte. Eine Windrose über der Brust und ein Kreuz hinter der muskulösen Schulter sagten: Vory v Zakone. Diebe im Gesetz, eine Vereinigung Krimineller, die ein hohes Ansehen genoss. Anatol war ein Verbrecher mit gutem Ruf, wie er selbst sagte, ein Feind der Politik und ein stolzer Orthodoxer.
    Sie erinnerte sich an einen Sommertag, als sie in Sankt Petersburg unterwegs gewesen waren. Anatol hatte ein kurzes Hemd getragen, so dass jeder die Sprüche auf seinen Armen sehen konnte. Auf seinem rechten Unterarm stand vorne:
»Lass alles, was ich gelebt habe, ein Traum sein!«
Auf seinem linken hinteren Unterarm prangte:
»Wohin gehst du?«,
auf dem rechten die passende Antwort dazu:
»Was zur Hölle geht dich das an?«
Seine Lieblingstätowierung verlief auf der rechten Innenseite:
Du sollst nicht den ersten Schlag erwarten.
    Wissende Menschen hatten die Straßenseite gewechselt, Gäste in einem Lokal waren aufgestanden und gegangen, obwohl sie Anatol nicht kannten.
    Kristin erfuhr, dass diese Tätowierungen einen ehrbaren Dieb kennzeichneten, der keine Autorität akzeptierte. Bei den Vory gab es lediglich Respekt für diejenigen, welche die Staatsmacht ablehnten.
    Ihre Ankhs hatten eine andere Bedeutung: Für jeden Todesschläfer, den sie ausgelöscht hatte, kam ein Kreuz hinzu. Das Symbol stand für das ewige Leben, das sie einem Mann oder einer Frau genommen hatte, halb Andenken, halb Trophäe. Nach Johnny und Strong kämen nun zwei weitere hinzu.
    »Sobald der Umzug gelaufen ist, meldest du dich bei mir«, sagte Anatol leise. »Danach schaue ich, was ich für dich tun kann.« Er richtete die Manschettenknöpfe, die ehemals Orden für militärische Verdienste zur See gewesen waren. »Ich informiere Eugen, dass du keine Zeit hast.« Die rechte Hand stieß aus der Dunkelheit nach vorne und bewegte sich auf das Touchpad zu. Er wollte die Verbindung unterbrechen.
    »Nein, warte! Ich möchte wenigstens mit ihm sprechen!«
    »Du hattest deine Gelegenheit, ihn zu besuchen«, gab er unbeugsam zurück. »Du bist nicht hier, also wirst du ihn nicht sehen.«
    »Sei nicht so grausam zu mir!«, stammelte sie und fühlte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. »Ich habe mich auf ihn gefreut!«
    »Er sich auch auf dich, Sophia. Stell dir vor, was in ihm vorgeht, wenn ich ihm sage, dass du keine Zeit hattest.« Jetzt war die dunkle Stimme scharf wie kalter Messerstahl. Seine Strafe für ihr Versäumnis.
    »Bitte, Anatol!«, schluchzte sie auf.
    »Sei das nächste Mal pünktlich. Das wäre in zwei Wochen.« Sein Ton war unbeteiligt, die Kamera zeigte seinen Mund und das Kinn. »Du wirst nach Moskau kommen müssen. Sankt Petersburg ist vorerst nicht sicher.«
    »Wieso?«, fragte sie erschrocken. »Was hast du …«
    »Nicht
ich,
Sophia.
Du
hast die Aufmerksamkeit des MI 6 erregt. Vielleicht haben sie ein Bild von Eugen geschossen und wissen mehr von ihm, als ich gutheißen kann.« Anatols rechte Wange erschien, die Muskeln unter der Haut zuckten kurz, ein

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