Oneiros: Tödlicher Fluch
Passant eilte an ihr vorbei, die Menschen verkrochen sich in ihren Häusern. Die Bilder der Attentate der unbekannten Terrorgruppe waren zu präsent. Niemand wollte zu den nächsten Opfern des tödlichen Gases gehören.
Kristin blickte sich genau um, während sie durch die verlassenen Straßen zog und nach Spuren der Flüchtenden suchte. Minuten verstrichen. Sie lief und lief, bis sie schließlich einsah, dass es unmöglich war, Korff und Arctander auf diese Weise zu finden. Der Zufall würde ihr nicht zur Hilfe kommen, daher kontaktierte sie Darling erneut. »Ich habe sie verloren.«
»Rufen Sie Miller an, und warten Sie mit ihr gemeinsam, bis ich etwas Neues habe«, sagte er genervt.
Kristin bestätigte, beendete die Unterhaltung, rief Miller an und bestellte sie zu sich. Die Wartezeit nutzte sie, um sich von Johnnys Pistole zu trennen, falls Miller auf die Idee kam, ihre Geschichte anzuzweifeln und sie zu filzen. Klappernd verschwand die Waffe in einem Abwasserschacht. Mehr als die Nadel benötigte sie ohnehin nicht.
Kristin sah auf die Uhr. Jede unnütz verstrichene Sekunde schmerzte sie, ging von ihrer wertvollen Lebenszeit ab, von dem einen Jahr, das ihr noch blieb, sofern sich Smyrnikov nicht täuschte. Sie musste unbedingt mit Eugen sprechen. Ihr Sohn, ihr Anker, ihr größter Schatz, ihre größte Leistung.
Es gab nur wenig, auf das sie wirklich stolz war, und gegen die Dinge, die sie seit der ersten Diagnose getan hatte, verblasste alles Gute in ihrem Leben. Doch Eugen rettete ihre Bilanz. Fröhlich, aufgeweckt, schlau und hübsch, das Beste von ihr und ihrem Ex-Mann in einer Person.
Daran, dass sie auf ihre Taten nicht gerade stolz sein konnte, änderte auch nichts, dass sie neuerdings mit dem Segen des MI 6 handelte. Der erpresserische Deal, den sie eingegangen war, sah vor, dass Darling sie in Ruhe ließ, sofern sie Arctander unbeschadet bei ihm ablieferte. Sie wollte gar nicht wissen, was der Agent mit dem Narko vorhatte. Zum Wohle der Menschheit handelte er sicherlich nicht.
Das Zusammentreffen am Minsker Flughafen mit der Agententruppe hätte sie warnen sollen. In Frankreich war es dann geschehen: Darling hatte in seinem Designeranzug vor ihr gestanden, ihr genau beschrieben, wo sich das
Institut Leben
befand, welche Ärzte und Wissenschaftler als Letztes nach Minsk gereist waren. Zwar hatte er bestritten, dass die kleine Agententruppe am Flughafen von ihm stammte, doch er grinste dabei. Kristin war keine Wahl geblieben, als sein Angebot anzunehmen, in sein Team zu wechseln und ihn mit ihren Kräften zu unterstützen, falls es notwendig wurde. Das bedeutete aber nicht, dass sie währenddessen nicht in Ruhe einen Gegenschlag vorbereiten konnte.
Noch ein Grund mehr, sich mit ihrem Ex zu arrangieren. Ein Angriff von dieser Seite würde Darling unvermutet treffen. Der MI 6 hatte Anatol garantiert nicht auf dem Schirm.
Sie durfte nicht zulassen, dass Darling ihr Lebenswerk ruinierte. Weder Darling noch irgendeine Macht, ein Staat, eine Person – niemand! Ihr Ex-Mann würde ihr helfen.
Die ungewollte Wartezeit gebar Gedankengänge, denen sie sich ansonsten selten hingab. Weil ihr die Ruhe dazu fehlte.
Kristin zweifelte nicht daran, dass sie herausgefunden hatte, dass die Seele eines Menschen im Kopf und nicht an einer sonstigen Stelle des Körpers saß.
Im ersten Moment klang diese Feststellung beinahe lächerlich, doch sie hatte den Beweis erbracht, dass es wirklich so war. Ein Mysterium der Menschheit – gelöst.
Die Todesschläfer, denen sie das Hirn transplantiert und welche die Prozedur überlebt hatten, benahmen sich, als befänden sie sich in ihrem alten Körper, sofern man die Wirkung des Traumas gedämpft und mit Chemie niedergerungen hatte.
Auch wenn der verstorbene Patient 22 der Aussichtsreichste auf eine lang andauernde Fremdleibesnutzung gewesen war, hatten Smyrnikov und sein Team Kurzerfolge verzeichnet.
Die Psyche spielte eine große Rolle. Solange man die Transplantierten nicht wissen ließ, was mit ihnen geschehen war, wunderten sie sich lediglich über ihren schlechten Zustand. Verbundene Augen, gefälschte Spiegelbilder, sie hatten vieles ausprobiert, um die Probanden im Unklaren zu halten. Das Märchen von einem Unfall glaubten die meisten. Sie strengten sich an, gegen die Lähmungen, das veränderte Körpergefühl und andere Ausfallerscheinungen anzukämpfen. Aber sie starben rasch wegen der zu hohen Belastung des Organismus.
Die bahnbrechenden Erfolge würden
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