Oneiros: Tödlicher Fluch
Barkeeper das Zeichen für Nachschub. »Wieso hat man das n-n-nicht in den Nachrichten gesagt?«
»Geheim. Eigentlich dürfte ich das gar nicht sagen, und vermutlich wird man mich deswegen anzeigen. Oder meine Aufpasser, die sich irgendwo hinter mir verstecken, prügeln mich durch.« Tommaso rollte mit den Augen. »Mir scheißegal. Jetzt wissen Sie’s.« Die Umgebung drehte sich leicht, und Tommaso musste sich an der Bar festhalten. Der Pastis vernebelte seine Sinne.
Die Unbekannte betrachtete ihn neugierig. »Kennen Sie den Film
Unbreakable?
Die Hauptfigur überlebt alle möglichen Katastrophen, b-b-bis sich herausstellt, dass sie eine Art Superheld ist und den Gegenpart zu einem Bösewicht bildet.« Sie nippte an ihrem neuen Wodka. »Vielleicht ist es bei Ihnen a-a-auch so?«
Tommaso stieß ein kurzes, freudloses Lachen aus. »Wollen Sie mich verarschen? Oder sind Sie eine Reporterin?« Er musterte sie, konnte aber weder eine Kamera noch ein Aufnahmegerät entdecken. Dann schaute er sich in der Hotelbar um. Seine Aufpasser sah er nirgends, vermutlich machten sie Pause.
»Nein«, wehrte sie rasch ab. Der kleine Pferdeschwanz, den sie am Hinterkopf trug, hüpfte; eine lange, geschnitzte Haarnadel, die durch ein gelochtes Lederstück gesteckt war, hielt die Haare zusammen. »Ich bin geschäftlich in Paris. Ehrlich, ich wusste nicht, dass Sie in der Maschine waren. Wie auch?« Sie hielt ihm die Hand hin. »Kristin.«
Tommaso seufzte tonlos. Er fühlte sich elend. Seelisch und körperlich. Die Anwesenheit der
bella signora
linderte die Pein nicht wirklich. Aber ihr leichtes Stottern machte sie sympathisch.
»Tommaso.« Er schüttelte ihre Hand. »Tja. Da sitzen wir.« Er wischte sich über die Stirn, die sich fettig anfühlte, weil er geschwitzt hatte. Er glänzte bestimmt wie eine Speckschwarte. »Haben Sie auch mal eine Katastrophe überlebt?«, fragte er, weil ihm nichts Besseres einfiel.Es wunderte ihn ein bisschen, dass er ausgerechnet heute angesprochen wurde. Er war ja nicht gerade in der besten Verfassung. Vielleicht war sie eine Prostituierte? Sie sah gut aus und war noch nicht alt, vielleicht dreißig. Den Akzent in ihrem Englisch konnte er nicht einschätzen, aber er barg leichten osteuropäischen Einschlag, und sie sprach wegen des Stotterns auffallend langsam, betont, als müsste sie über jedes Wort nachdenken. Er verwarf den Gedanken wieder, dass sie eine Hure sein könnte. Das Stottern wäre ihrem Geschäft kaum zuträglich.
Kristin schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich überlebe – s-s-so gut ich kann.«
»Sie sind krank?« Tommaso musterte sie. »Sie sehen kerngesund aus. Und sehr hübsch, wenn ich das anmerken darf. Aids?« Er wusste nicht, warum er ausgerechnet das sagte. Vermutlich, weil er an Sex gedacht hatte.
Sie lächelte schwach und traurig. »Letale familiäre I-i-insomnie. Die letzte Scheiße, das kann ich Ihnen sagen. Dann lieber Aids.«
»Davon habe ich noch nie gehört. Was ist das?«
»Na ja, eine extrem seltene krankhafte Veränderung des Gehirns, die verhindert, dass man richtig schläft, und die früher oder später zum Tod führt. W-w-wer von uns beiden hat nun die Arschkarte, Tommaso?« Kristin lehnte sich gegen die Theke und schlug ein Bein über das andere. Sie redete jetzt flüssiger, weniger bedächtig. »Die Schlafstörungen sind l-l-lästig und machen mich fertig. Sie führen zu Benommenheit und Schläfrigkeit t-t-tagsüber. Irgendwann kommen Gleichgewichts- und Gehstörungen dazu, dann Muskelzuckungen, die Aufmerksamkeit wird gestört, das Gedächtnis gibt den Geist auf. Noch halte ich mich gut. Hoffentlich s-s-stört Sie mein Stottern nicht zu sehr. Gehört auch zur Packung. Ich t-t-trinke noch einen, und dann ist es weg. Alkohol hilft.«
Sie tat Tommaso leid, und sein Gejammer fühlte sich plötzlich kindisch an. Sie ging sehr abgeklärt mit ihrem Leiden um, was ihn umso mehr beeindruckte. Kristin hatte sich arrangiert, ohne aufzugeben. »Kann man da nichts machen?«
»Nein. Bisher ist noch jeder Patient innerhalb weniger Jahre gestorben. Wenn ich Glück habe, gehöre ich zu denen, die plötzlich an Herzversagen oder an einem Hirnschlag eingehen, bevor eine schwere Bewusstseinsstörung einsetzt.«
Tommaso wusste nicht, was er darauf antworten sollte, und beließ es bei einem mitleidigen Blick. Er roch ihr Parfüm und fand es ebenso anregend und anziehend wie die Frau selbst.
Kristin trank ihren Wodka aus, den dritten hatte der Barkeeper bereits vor ihr
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