Oneiros: Tödlicher Fluch
durch ihre Ansichten oder Taten in Misskredit geraten. Genau das zeichnete sie aus: Sie standen in der Tradition von Demikhov und White, als deren Erben und mit besseren Mitteln ausgestattet.
Kristins Forschungen in Minsk liefen alles in allem seit vier Jahren. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Geld hatte die Mediziner angelockt, die Aussicht auf noch mehr Geld hielt sie in Minsk. Vorsichtshalber ließ Kristin jeden von ihnen überwachen. Kein Baustein ihres Geheimnisses durfte verloren gehen oder bekannt werden. Die Panne mit dem Iren empfand sie als schweren Fehler, der sie aufbrachte. Smyrnikov dagegen blieb die Gelassenheit selbst. Er schien es wirklich nicht ansprechen zu wollen.
»Was ist mit Professor McNamara geschehen?«, fragte sie scharf. »Wieso muss ich von seinem Tod aus der Zeitung erfahren? Es wird sich dabei nicht wirklich um einen Überfall gehandelt haben, denke ich. Sie hatten die Pflicht, mich zu informieren.«
Smyrnikov schnalzte mit der Zunge. »Ich hätte mir denken können, dass Sie davon erfahren, bevor ich es erklären kann.«
»Hätten Sie.«
Er seufzte. »Ich entschuldige mich für das Versäumnis.«
»Also?«
»Er wollte aussteigen, aus moralischen Gründen. Ein Unfall machte das übliche Verfahren unmöglich. McNamara flüchtete, Dranko erwischte ihn gerade noch, bevor er den Flughafen erreichte. Die Polizei hielt sich zurück, aber heutzutage besitzt jeder Idiot ein Fotohandy. Die Aufnahme gelangte an einen jungen Redakteur.« Smyrnikov räusperte sich. »Die Zeitung druckte die Meldung, bevor ich denen unseren Mann von der Regierung auf den Hals hetzen konnte. Es war nicht mehr zu verhindern.«
Kristin schüttelte andeutungsweise den Kopf. »Das ist nicht gut, Professor. Ich hoffe, niemand liest diesen Artikel im Ausland.« Sie glaubte nicht, dass er sie wirklich hatte informieren wollen. Smyrnikov fürchtete sie.
»Er wird nicht online stehen«, versicherte er. »Ich habe alles Sonstige regeln können. Die Behörden helfen uns bei der Vertuschung des Unfalls. McNamaras Identität wird ein Geheimnis bleiben. Seine Leiche verschwindet.«
»Was ist mit seiner Schwester?« Kristin erinnerte sich an die Einstellungsgespräche mit dem Iren, den sie auf Smyrnikovs Empfehlung und vor allem Wunsch eingekauft hatte.
»Sie wird eine Urne mit seiner Asche und einen Brief aus Burkina Faso bekommen. Eine Infektion hat ihn dahingerafft. Die Telefonnummer, die auf dem Schreiben zu finden ist, führt zu einem unserer Leute, der ihr als Arbeitskollege eine rührselige Geschichte erzählen wird.«
»Schön. Warten wir ab, ob sie darauf reinfällt. Falls nicht, wird sie einen Unfall haben.« Kristin war unzufrieden. Smyrnikov spielte mit ihrem Vertrauen. Das würde sie ihn lange spüren lassen. »Ich möchte Patient 34 sehen«, beendete sie das Thema. »Ich habe noch ein paar Fragen an ihn.«
»Wie Sie wünschen«, entgegnete Smyrnikov. Er klang wegen seines Fehlers schlecht gelaunt. Oder weil sie ihn ertappt hatte.
Sie nahmen einen zweiten Fahrstuhl am Ende des Ganges, fuhren ins oberste, achte Stockwerk, das sich von den darunterliegenden dadurch unterschied, dass es lediglich vier, sehr geräumige Patientenzimmer gab.
Sie traten nach kurzem Klopfen durch die erste Tür auf der linken Seite des Korridors.
Der Raum stand voll mit elektronischen Geräten, automatisierten Injektionsmaschinen und den unterschiedlichsten medizinischen Überwachungseinheiten, Monitore, die gleichförmige wellenartige Muster abbildeten. Kameras an der Decke überwachten Patient 34 außerdem optisch, das Mikrofon vor seinen Lippen übertrug den geringsten Laut aus seinem Mund.
Zahllose Infusionsschläuche und die Kabel der Messgeräte führten über ein Haltesystem zu einer Plexiglaszelle in der Mitte des Raums und von dort zu einem Bett. Der mit mehreren Riemen gefesselte, nackte Mann darin steckte voller Kabel und Schläuche, durch die Mixturen verschiedenster Mittel in sein Blut rannen. Auf seinem kahlgeschorenen, in ein Metallgerüst eingespannten Kopf saßen Elektroden, die ein EEG zwecks Neurofeedback anfertigten. Alles an und in ihm wurde permanent überwacht, von den Blutwerten bis zu den Hirnströmen. Bewegen konnte er sich kaum einen Millimeter, dafür sorgten die Riemen und die Schädelhalterung.
Man hätte glauben können, dass besorgte Ärzte ein schwerverletztes Unfallopfer vor dem Tod gerettet hatten und es immobilisierten, damit die Genesung schneller voranschritt.
Die Wahrheit sah
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