Oneiros: Tödlicher Fluch
allzu langer Zeit die Forscher in Berkeley Stammzellen benutzten, um altes Muskelgewebe instand zu setzen und zu reparieren. Sie veränderten den biochemischen Pfad, nach dem die Natur üblicherweise bei einem Heilungsprozess vorgeht.« Willers hatte das Leuchten in den Augen, das Kristin so bewundernswert fand. »Verstehen Sie, was wir hier tun, Mister Singh? Wie wichtig Sie sind? Mit unserem Verfahren könnten wir dem Tod ein Schnippchen schlagen. Für alle Zeiten. Indem wir verschiedene Methoden kombinieren.«
Wenn sie Erfolg hatten, wäre das Kristins Rettung. Und Eugens. Aber jegliches Wissen war nützlich. Gerade mit Blick auf ihre Insomnie.
Plötzlich sprang Willer Piepser an, auch Smyrnikovs Rufgerät ertönte.
»Was ist?« Kristin sah das Entsetzen auf dem Gesicht der älteren Frau.
»Patient 22 ! Seine Hirnströme haben sich geändert. Die Delta-Wellen nehmen ab, die REM -Phase wird abgeschlossen, der Tiefschlaf unterbrochen. Wir haben erste Theta-Wellen! Die Sedierung greift nicht mehr«, stieß Willers hervor. »Er geht in eine andere Schlafphase über. Wie konnte das passieren, Professor?«
Smyrnikov rannte ohne ein Wort hinaus. Was hatte er vor? Den Ärzten zur Hand gehen? Oder flüchten, damit wenigstens er überlebte?
»Auf welchem Stockwerk liegt er?« Kristin versuchte, sich nicht von der Panik anstecken zu lassen. Der sensationelle Transplantationserfolg mit Patient 34 wäre völlig bedeutungslos, wenn sie 22 nicht unter Kontrolle bekamen. Sonst könnte sie genauso gut eine Neutronenbombe zünden, eine derartige Katastrophe war nicht vertuschbar. Sie stand unter enormer Spannung, der letzte Rest Müdigkeit war wie weggeblasen.
»Eins unter uns, im siebten. Wir haben nicht genug Zeit, um alle in den Keller in Sicherheit zu bringen.« Willers starrte ihre Chefin an und übertrug ihr damit jegliche Verantwortung.
Kristin setzte sich in Bewegung, eilte zur Treppe, um ins siebte Geschoss zu gelangen.
Sie wusste, was zu tun war, und sollte es ihr nicht gelingen, waren gleich sehr viele Menschen tot.
Im Haus und im Umkreis von drei Kilometern.
[home]
V
Der Lebenslauf des Menschen besteht darin,
dass er, von der Hoffnung genarrt,
dem Tod in die Arme tanzt.
Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung
Leipzig, Deutschland
Do not fall asleep, until …
K onstantin lag in einem fremden, duftenden Bett auf dem Rücken und fuhr gedankenverloren über die eingestochenen Buchstaben in seinem rechten Unterarm, die schwarz und neu schimmerten wie an dem Tag, als er aus dem Tätowierladen gekommen war. Das lag daran, dass er den Halbsatz regelmäßig auffrischen ließ. Dabei ging es weniger um das Aussehen des Tattoos, sondern um das Ritual, um die Erinnerung und die Mahnung an sich selbst.
Er wandte den Kopf nach rechts, sein Blick legte sich liebevoll auf Iva.
Die junge Frau schlief, atmete tief und langsam. Voller Vertrauen.
Das blonde lange Haar umspielte ihr Gesicht und breitete sich auf dem Kissen aus. Das Laken war verrutscht, so dass Konstantin ihre linke, entblößte Brust mit dem zartrosafarbenen Vorhof sah, den er vor Stunden noch geküsst und gestreichelt hatte. Iva hatte wundervolle Haut, hell und rein, und sie roch nach Creme und Parfüm.
Konstantin hob die Hand und konnte nicht anders, als die Schlafende sanft zu berühren, ihre Schulter, das Schlüsselbein, den Brustansatz.
Er fühlte ihre Wärme an seinen Fingerkuppen, und ein Schauder der Glückseligkeit durchlief ihn, sandte ein warmes Gefühl in seine Mitte und brachte das Sonnengeflecht zum Glühen. Seine Gedanken waren nahezu verträumt, schwärmerisch. Derart irrational kannte er sich nicht und wunderte sich selbst über seinen schwärmerischen Zustand, der ihm geradezu esoterische Gedanken und Bilder eingab.
Ich bin verrückt nach ihr! So was von verrückt nach ihr!
Nach ihrer Rückkehr von der Russland-Tournee war alles ganz schnell gegangen: Probenbesuch, Cafébesuch, Wohnungsbesuch, ein unbeschreiblich überirdischer Augenblick, eine Übereinstimmung der Seelen gebar Verwirrung und Verschmelzungswunsch. Eine unwiderstehliche Woge hatte sie erfasst, gleichzeitig, sie mitgerissen und ins Bett gespült, wo sie zum ersten Mal Sex hatten. Danach auf dem Fußboden und auf dem Tisch in der kleinen Küche. Hinterher war Iva erschöpft eingeschlafen.
Konstantin nicht. Er
durfte
nicht. Stattdessen überlegte er, ob er ihr die Wahrheit über sich und sein Geheimnis sagen sollte. Er wollte es, damit sie Bescheid
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