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Oneiros: Tödlicher Fluch

Oneiros: Tödlicher Fluch

Titel: Oneiros: Tödlicher Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Fahrstühlen, andere kamen Kristin entgegen, um durch das Treppenhaus nach unten zu flüchten.
    »Aus dem Weg!« Kristin kämpfte gegen den Strom an, um Patient 22 zu erreichen, bevor das Sterben begann und dieses Projekt zerstörte. Das durfte nicht geschehen! Wegen ihres Vaters und in erster Linie wegen Eugen.
    Kaum einer der Flüchtenden wusste überhaupt, warum sie sich in Sicherheit bringen mussten.
    Kristin hatte Wert darauf gelegt, dass nur eine Handvoll ranghoher Spezialisten den wahren Grund für den Alarm kannten. Die meisten Angestellten nahmen ein ausgetretenes Bakterium oder einen Virus an, einen Brand oder Probleme mit irgendwas, das für die Allgemeinheit nicht gut war.
    Dass ein Todesschläfer aus dem künstlichen Koma in den Schlaf überging und dadurch den Tod zu ihnen lockte, ahnten sie nicht.
    Sobald ein Todesschläfer in die gefährliche Schlafphase wechselte, verströmte er Theta-Wellen. Vermutlich waren es diese Wellen, auf die der Schnitter wie auf ein kreischend lautes Tonsignal reagierte. Er suchte sofort die Quelle, um sie zum Schweigen zu bringen und sie zu vernichten. Da er sie nicht genau sah, schlug er wild um sich. Was er traf, starb. Ausnahmslos. So zumindest hatte Kristin sich den Ablauf stets vorgestellt.
    »Lassen Sie mich durch!« Kristin hatte die Tür mit der Aufschrift 22 beinahe erreicht und verpasste einer Krankenschwester, die nicht schnell genug auswich, einen Faustschlag, der sie seitwärts gegen die Wand schleuderte.
    Der Geruch von warmem Mais steigerte sich, wurde durchdringend. Übelkeit erregend. Von Todesschläfer zu Todesschläfer wechselten die Anzeichen für die Nähe des Todes, mal war es ein Knistern, mal ein Geruch. Individuell wie die Person, die den Schnitter herbeirief.
    Kristin trat die Tür auf und stürmte ins Zimmer von Patient  22 .
    Harmlos ausgestreckt lag der junge kahlköpfige Mann im Bett, angeschlossen an Kabel von Überwachungsgeräten, an das EEG , verbunden mit Infusionsschläuchen und Kathetern. Der nackte, ausgemergelte Oberkörper war voller Narben, wo versagende Organe entnommen und durch neue ersetzt worden waren; aufgemalte frische Markierungen kündigten neue Schnitte an. Die Haut hatte sich vom ständigen Gebrauch der Desinfektionsmittel stellenweise tieforange gefärbt. Über seine Stirn und den kahlen Schädel zog sich eine durchgehende, waagerechte Linie.
    Er bot einen jämmerlichen Anblick, aber das war nicht das eigentliche Problem. Um ihn herum auf dem Boden lagen drei Pflegekräfte und Doktor Dranski. Die aufgezogene Spritze mit dem Betäubungsmittel, um den Patienten zurück in den harmlosen Tiefschlaf zu zwingen, lag zerbrochen neben seiner Hand. Das Gerät, mit dem dank transkranieller Magnetstimulation die Hirnwellen verändert werden konnten, stand an der Wand, doch Kristin kannte sich damit nicht aus. Es stank nach konzentriertem, verkochendem Mais, der Geruch schnürte ihr die Luft ab. Der Tod befand sich bereits hier und verrichtete seine Arbeit, wie er es seit Millionen von Jahren tat. Kein menschliches Wesen konnte noch in dieses Zimmer gelangen. Sie alle würden mit stockendem Herzen auf der Schwelle zusammenbrechen – außer ihr.
    »He! Aufwachen! Hoch!« Kristin rüttelte Patient 22 an der Schulter, um ihn zu wecken.
    Der junge Mann hielt die Augen geschlossen, atmete tief ein und aus. Die Delta-Wellen waren inzwischen fast vollkommen von den Theta-Wellen ersetzt worden.
    Auf dem Gang vor dem Zimmer wurde es plötzlich leiser, Schreie erklangen nur noch aus der Ferne. Der Tod holte sich als Erstes die Menschen, die sich dem Zimmer am nächsten befanden, und Mauern würden in diesem Fall niemanden retten. Wände, Decken und Böden hielten den allgewaltigen Schnitter nicht auf.
    »Aufstehen, du Bastard!« Kristin versetzte dem Patienten mehrere Schläge ins Gesicht, aber die Sedierung wirkte nach wie vor. Schnell würde er keinesfalls erwachen.
    Das EEG meldete mit einem dunklen Ton, dass der Übergang in den Bereich der Theta-Wellen in wenigen Sekunden abgeschlossen war. Sie stabilisierten sich im kritischen Bereich, die Frequenz der Schwingungen lag um die fünf Hertz.
    Nun musste Kristin handeln, auch wenn sie damit eine ihrer besten Versuchspersonen verlor. Internationale Aufmerksamkeit und Schlagzeilen konnte sie sich nicht leisten. Beides würde es geben, wenn sie jetzt zögerte. Und da sich 22 nicht wecken ließ …
    »Scheiße, verdammte!« Sie beugte sich über ihn und legte ihre Stirn gegen seine, dann

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