Onkel Horatios 1000 Sünden
geben.»
«Ach, jetzt schmeicheln Sie aber», lächelte Abigail. Schließlich konnte sie auch nicht viel anderes sagen, da der Kerl beide Hände kräftig in ihre Achselhöhlen gedrückt hielt.
«Ganz und gar nicht», erwiderte Mervyn Spode und zerrte an den Knoten. «Wenn ich auch zugeben muß, nicht die leiseste Ahnung zu haben, wer Sie sind, sagte ich mir doch augenblicklich: Endlich ein Gesicht, mit dem sich etwas anfangen ließe.»
Aber Abigail wurde durch die Szene abgelenkt, die sie durch die offenen Luken des Terrassencafés beobachten konnte. Auf dem Deck stand ein Mann mit goldenen Litzen und struppigen Augenbrauen, in dem sie den Kapitän vermutete. Ihm gegenüber krümmte sich in Zivilkleidern ein unglückliches Mitglied seiner Besatzung, dessen Schwimmweste sich in einer dieser Drahtrollen verfangen hatte, die man in die Rettungsboote schleudert. Zwischen den beiden schien ein Streit zu wogen, denn der Kapitän schüttelte die Faust und hüpfte auf dem Deck auf und ab. Schließlich erschien ein baumlanger Matrose im blauen Anzug und schnitt mit einem Messer den armen Kerl los, der daraufhin eiligst irgendwohin abgeschoben wurde, wo man ihn nicht mehr sehen konnte. Das Sonderbare an der Sache war bloß, dachte Abigail, daß der verknotete Zivilist genau wie Teddy Brickwoods netter Freund George aus Oxford aussah.
«Wie merkwürdig», murmelte sie vor sich hin. «Das kann er doch sicher nicht sein. Entschuldigen Sie», wandte sie sich Mervyn zu. «Ich habe Ihre letzte Bemerkung überhört.»
«Bitte, verzeihen Sie mir», fuhr Mervyn ölig fort, «aber ich muß Ihnen einfach sagen, was für wunderbare Augen Sie haben.» Der sanftäugige Stabsoffizier hielt eine kleine Ansprache über die ruhmreiche britische Tradition zur See und ermahnte alle Gäste, sich warme Wollsachen anzuziehen. Mervyn begann alle seine Kreuzknoten wieder aufzubinden. Fünf Minuten später richtete er es ein, Abigail nach dem Abendessen in der kleinen Bar zu einem Drink zu treffen.
Abigail wanderte ziemlich nachdenklich in ihre Suite auf dem A-Deck zurück. Sie war jener Mädchentyp, der sich gern schmeichelt zu denken. Sie hatte diese Kreuzfahrt nicht mitmachen wollen, aber ihr Vater hatte ihr ohne Umschweife erklärt, daß ihm ihr allmorgendliches Kameliendamengesicht beim Frühstück auf die Nerven fiele. Sie hätte ja lieber auf dem Berkeley Square abgewartet, daß Teddy sie aufgesucht und sie den lächerlichen Streit über die Fische beigelegt hätten. Im Zug, der sie von Oxford nach Hause brachte, hatte sie wie eine ausgequetschte Orange geweint, aber sie weigerte sich standhaft, mit einigen liebevollen Zeilen den ersten Schritt zur Versöhnung zu tun. Was die Schwierigkeiten beweist, in die miteinander verkrachte Liebende geraten, die nicht von den Sternen begünstigt sind, besonders wenn es sich um ein so störrisches Paar wie dieses handelt.
Abigail musterte nachdenklich ihre Garderobe, die von ihrer privaten Stewardess ausgepackt worden war. Sie wollte den Nachmittag völlig ihrer Lektüre des «Untergangs und Falles» widmen, aber dieser Mervyn Spode schien ein recht hilfsbereiter und sympathischer Mensch zu sein. Wenn er auch natürlich keineswegs den brillanten Geist Teddys besaß, wies sie sich scharf zurecht, und griff nach ihrem verführerischen Balmain.
Mervyn Spode schritt mittlerweile auf dem Schiffsdeck auf und ab und legte sich seinen Schlachtplan für den Abend zurecht.
«Hallo, Merv», erklang hinter ihm eine kehlige Stimme.
Er blieb wie angewurzelt stehen, wandte sich um und erblickte ein Mädchen mit langem Blondhaar und einem erstaunlichen Kleid, an dem große Splitter glitzernden Glases baumelten. Ihre Zigarette steckte in einer Spitze, die wie eine Zuckerzange aussah, die sie über ihren kleinen Finger gestreift hatte.
«Äh - ich fürchte, ich habe nicht das Vergnügen -» sagte Mervyn hastig. Seinem kurzen Gastspiel, das er Vorjahren an einem Provinztheater abgehalten hatte, verdankte er die Kunst, seine Gefühle völlig zu verbergen.
«Wie geht’s Caroline, Merv?» fragte Morag.
«Caroline?» Er lächelte verbindlich. «Bedaure, aber in meinem Bekanntenkreis hat sich niemals eine Person dieses Namens befunden.»
«Ganz der große Verschwörer», sagte Morag heiser. «Was ist denn aus deinem süßen kleinen Antiquitätenladen in der Kings Road geworden? Heute verkauft man dort jene märchenhaften und völlig ungenießbaren Pizzas.»
«Hör zu, Morag — » Mervyn Spode leckte seine Lippen
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