Onkel Schwein (German Edition)
Mutter lebte. Stringheim hätte ihn nur gern etwas öfter gesehen, doch seine Ex unternahm alles, um den Kontakt zu minimieren. Heute, das wusste er, war der Junge bei seiner Oma. Die war nicht so streng mit Stringheim und würde ihm erlauben, außer der Reihe eine Schlittenpartie mit Alex zu unternehmen. Dafür sollte die Alte von ihm eine schöne Flasche Likör bekommen, die sie genüsslich vor dem Fernseher bei ihren geliebten Tierfilmen aussüffeln würde, wie sie es nannte.
Im Auto hatte er einen neuen Schlitten. Nicht so einen aus Holz, wie den, mit dem er als Kind die Hügel seiner Heimat unsicher gemacht hatte. Dieser war aus knallrotem Kunststoff, mit schwarzem Lenkrad und Krallenbremse. Ein Traum.
Er stellte sich vor die glänzende Tür seines Autos und zog den Bauch ein. Stringheim war in jeder Hinsicht höchst zufrieden mit sich.
Die neusten Umfragewerte und Ergebniszahlen hatten allen deutlich vor Augen geführt, was jedem außer Taubstummen und Vollidioten klar war: Er war Mr. ROCX FM, ohne ihn ging überhaupt nichts. Und seine Idee, die Hörer ein Geräusch erraten zu lassen, hatte dem Ganzen die Krone aufgesetzt. Wen störte es, dass er das Spiel von einem Sender in Deutschland geklaut hatte. Das Publikum war begeistert, Teenager tippten sich die Finger wund und mit jedem Anruf klingelte nicht nur bei der Telefongesellschaft die Kasse, sondern auch bei den Eigentümern des Senders. Und seine eigene. Der neue Vertrag zu verbesserten Konditionen war unter Dach und Fach und das Fernsehen hatte auch schon angeklopft. Mittlerweile konnte der Hörer, der das Geräusch erkennen würde, mit der Rekordsumme von 380.000 Kronen rechnen. Im Scherz hatte Stringheims Freundin ihn gefragt, ob er das Geräusch nicht ihrer Schwester verraten könnte. Die bräuchte gerade dringend Geld. Er hatte nur gelacht.
Stringheim war in Gedanken vertieft, als er durch Evedal fuhr und den verwaisten Campingplatz passierte, der trostlos auf die Rückkehrdes Sommers wartete. Mit Stolz sah er kurz darauf sein Haus, das in bevorzugter und beneideter Lage am See lag. Aus dem Schornstein stieg eine kleine weiße Rauchfahne lotrecht in den windstillen Himmel. Das Autoradio lief. Nicht ROCX FM, wie man hätte vermuten können, sondern die Konkurrenz: Sveriges Radio Klassik.
Johann Sebastian Bach hatte Stringheim völlig eingenommen, sodass er den VW-Transporter, der ihm schon vom Sender aus gefolgt war, in seinem Rückspiegel gar nicht bemerkte. Erst als er ausstieg und der Bus neben ihm anhielt, reagierte Stringheim. Doch es war zu spät. Er wunderte sich noch über den sehr schmächtigen Fahrer, als sich mit kratzendem Geräusch die Schiebetür öffnete. Ein Mann in dunklem Overall und mit Skimaske sprang heraus, ergriff Stringheims Arm und zog ihn in den Bus. Die Waffe, die der Fahrer aus dem Inneren des Wagens auf ihn richtete, ließ Stringheims Gedanken an Widerstand im Keim ersticken.
Der kleine Fahrer des VWs gab Gas. Kies spritzte. Auf Stringheims Beifahrersitz leuchtete der Schlitten in der Sonne. Sein Sohn würde heute nicht mit ihm Schlitten fahren. Und auch die Flasche Likör würde unangetastet bleiben.
3. Dezember: Lydia
Es war kurz nach Mitternacht, als zeitgleich zwei Einsatzteams der Polizei von Växjö in zwei unterschiedlichen Mietshäusern des Stadtteils Söder zwei Freunde in Gewahrsam nahm, wie es amtlich hieß. Während die meisten braven Bürger Südschwedens schliefen, Torbjörn Teever dagegen nicht einmal vor dem Fernseher Schlaf finden konnte und gleichzeitig der CD-Wechsler seine Arbeit verrichtete, ohne dass Teever später wusste, was er gehört oder gesehen hatte, brach Freddy Borg einem Polizisten die Nase, ehe dessen Kollegen ihn bändigen konnten. Der verschlafene Kent Axelsson leistete keinen Widerstand, sondern bat lediglich, sich eine Unterhose anziehen zu dürfen.
Der Zugriff erfolgte nicht zufällig. Die unter der Skepsis des Hausbesitzers von einem der Polizisten in Härlingetorp festgestellten Fingerabdrücke hatten die Ermittler des Einbruchsdezernats schnell auf die Spur von Kent und Freddy gebracht. Von einer Verhaftung hatte man aus „polizeitaktischen“ Gründen abgesehen. Für Borg mochte das gelten; bei Kent war die Begründung banaler ausgefallen: die Verbrechenssaison hatte begonnen und da man das Untersuchungsgefängnis zu knapp konzipiert hatte, waren schlicht und ergreifend zu wenige freie Zellen vorhanden gewesen.
Jetzt sah die Sache anders aus.
Bei der Durchsuchung der
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