Onkel Toms Hütte
weiß der Herrgott; aber im Himmel wird sie weiterkommen als du oder ich.«
»Ach, Papa, nicht doch«, sagte Eva und zupfte ihn sanft am Ellbogen, »das bekümmert Mama.«
»Nun, Vetter, bist du zum Gottesdienst gerüstet?« fragte Miß Ophelia und wandte sich direkt an St. Clare.
»Nein, danke, ich gehe nicht mit.«
»Ich wollte, St. Clare würde auch einmal zur Kirche gehen«, sagte Marie. »Aber er hat nicht die leiseste religiöse Empfindung. Das gehört sich einfach nicht.«
»Das weiß ich«, sagte St. Clare, »ihr Damen geht vermutlich zur Kirche, um dort zu erfahren, wie man in der Welt vorankommt, und eure Frömmigkeit gibt unserem Haus den ehrbaren Anstrich. Wenn ich jemals in die Kirche ginge, würde ich mit Mammy gehen, da ist wenigstens Betrieb.«
»Was, zu den Methodisten? Wie entsetzlich!« sagte Marie.
»Alles lieber als die tödliche Langeweile in eurer wohlanständigen Kirche, Marie. Tatsächlich, das ist von einem Mann zuviel verlangt. Eva, gehst du gern dahin? Komm, bleib hier, dann spielen wir zusammen.«
»Danke vielmals, Papa; aber ich gehe doch lieber in die Kirche.«
»Ist das nicht entsetzlich langweilig?« fragte St. Clare.
»Manches ist langweilig«, gab Eva zu, »und manchmal schlafe ich ein, versuche aber immer wieder wachzubleiben.«
»Warum gehst du dann hin?«
»Ach, weißt du, Papa«, sagte sie flüsternd, »die Tante hat gesagt, der liebe Gott wünscht es; und er schenkt uns doch alles, weißt du; und wenn er es gern möchte, dann ist es doch nicht viel verlangt. Dann ist es gar nicht so langweilig.«
»Du bist eine fügsame kleine Seele«, sagte St. Clare und küßte sie; »geh nur hin, sei ein liebes Kind, und bete für mich.«
»Gewiß, das tu ich immer«, antwortete das Kind und sprang seiner Mutter nach in den Wagen.
St. Clare stand auf den Stufen und warf ihr eine Kußhand nach, als der Wagen davonfuhr; große Tränen standen ihm in den Augen.
»O Evangeline, wie treffend ist dein Name! Hat Gott dich mir nicht als frohe Botschaft gesandt?«
Einen Augenblick bewegten ihn diese Gefühle, dann rauchte er eine Zigarre und las seine Zeitung. Seine kleine Evangeline hatte er vergessen. War er nicht wie andere Leute?
»Siehst du, Evangeline«, sagte die Mutter zu ihr, »es ist durchaus richtig, wenn man freundlich zu den Dienstboten ist, aber es gehört sich nicht, daß man sie genauso behandelt wie Verwandte oder wie Menschen unseresgleichen. Wenn Mammy zum Beispiel krank wäre, möchtest du sie doch auch nicht in dein Bett legen?«
»Aber ja, Mama«, sagte Eva »da könnte ich sie viel besser pflegen, und weißt du, mein Bett ist auch viel weicher als ihres.«
Marie geriet in Verzweiflung.
»Was kann ich nur tun, um mich dem Kinde begreiflich zu machen«, sagte sie.
»Gar nichts«, erwiderte Miß Ophelia bedeutsam.
Eva machte einen Augenblick ein betrübtes und betroffenes Gesichtchen; aber zum Glück wechseln bei Kindern die Eindrücke rasch; nach wenigen Minuten schon lachte sie wieder fröhlich über alles, was draußen an den ratternden Wagenfenstern vorüberglitt.
17. Kapitel
Die Verteidigung des freien Mannes
Als der Abend hereinbrach, war im Quäkerhaus alles in gelinder Aufregung. Rachel Halliday ging ruhig hin und her und entnahm ihren Vorräten alle brauchbaren Artikel, die sich auf kleinstem Raum zusammenpacken ließen, für die Wanderer, die heute nacht aufbrechen wollten. Die Schatten des Nachmittags streckten sich nach Osten, und die rote, runde Sonne verharrte nachdenklich am Horizont, und ihre Strahlen fielen gelb und still in die kleine Schlafstube, wo Georg mit seinem Weib zusammensaß. Er hielt ihre Hand und hatte sein Kind auf den Knien. Beide sahen ernst und nachdenklich aus, Tränenspuren lagen auf ihren Wangen.
»Ja, Eliza«, sagte Georg, »ich weiß, du hast recht. Du bist ein guter Mensch, viel besser als ich, und ich will versuchen, dir zu folgen. Ich will jetzt handeln, wie es einem freien Mann ziemt. Ich will versuchen, wie ein Christ zu fühlen. Gott der Allmächtige weiß, daß ich mich bemüht habe, selbst als alles sich gegen mich verschwor. Und nun will ich die Vergangenheit vergessen und alle Bitterkeit ablegen. Nun will ich die Bibel lesen und ein guter Mensch werden.«
»Wenn wir erst nach Kanada kommen«, sagte Eliza, »kann ich dir helfen. Ich verstehe mich auf die Schneiderei, und ich kann waschen und plätten; mit vereinten Kräften werden wir weiterkommen.«
»Ja, Eliza, solange wir nur einander haben und das
Weitere Kostenlose Bücher