Onkel Wanja kommt
verloren. Schließlich hat jeder den Krimi gelesen und den Film gesehen, in dem die Oma in der Badewanne stirbt, weil ihr der Mörder ein Radio ins Wasser schmeißt, einen Ventilator oder einen an die Steckdose angeschlossenen Fön. Ja, ich glaube, es war der Fön, der in die Wanne geworfen wurde. Was soll so ein Kind aus dem Westen wohl über die mögliche Verwendung des russischen Wasserkochers denken, wenn »Wasser kochen« nicht in Frage kommt? Es wird darin bestenfalls ein Rätsel, schlimmer: ein Werkzeug des Teufels sehen.
Wir haben zu Hause so einen alten Wasserkocher als Relikt aus der früheren Zeit, nehmen ihn aber nie mit auf Reisen und vermeiden überhaupt, als Touristen unterwegs zu sein. Lieber fahre ich auf Einladung des deutschen Auswärtigen Amtes oder der Goethe-Institute ins Ausland, um dort Werbung für die deutsche Sprache und deutsche Kultur zu machen. Auf solche Reisen nehme ich, wenn es geht, die Familie mit.
Ganz ohne Tourismus geht es aber auch nicht, beispielsweise wenn die Kinder Schulferien haben und gerade keine Einladung aus einem fremden Land vorliegt. Dann müssen wir die Touristenkarte ausspielen. Selbstverständlich ziehen wir es auch dann vor, dorthin zu fahren, wo wir mindestens eine Person kennen. Das letzte Mal zu Ostern sind wir mit den Kindern nach Südfrankreich gefahren, in die Pyrenäen nahe der spanischen Grenze. Wir kannten dort jemanden.
»Wie in einer Alpina-Schokoladen-Werbung«, meinte meine Tochter und tat die Landschaft sofort als »zu schön« ab. Ich genoss die Schönheit der Pyrenäen ebenfalls mit Zurückhaltung. Ich weiß, dass Franzosen gerne übertreiben. Diese Übertreibung liegt hier bereits in der Natur. Die Sonne ist zu rot, und das Gras sieht so grün und frisch aus, dass man sich auf der Stelle wünscht, als Kuh wiedergeboren zu werden, und das am liebs ten gleich drei Mal hintereinander. Die saftigen Wiesen, die weiten Felder und die kleinen lieblichen Flüsse, der Schnee, der perfekt über die Bergkuppen hängt – das Ganze will am liebsten in Geschenkpapier eingewickelt und unter den Weihnachtsbaum gelegt werden. Auf jeden Fall hatte ich dort ständig das Bedürfnis, meine Schuhe auszuziehen, um die Wiesen nicht zu schmutzig zu machen.
Die Bewohner Südfrankreichs sind übertrieben freund lich – sogar zu Touristen. Sie lächeln und küssen einander bei jeder Begegnung auf beide Wangen, sie grüßen Fremde grundlos und benehmen sich auch sonst oft so, als stünden sie unter Drogen. Allerdings haben sie in ihrem Paradies viel zu tun. Die Gegend hier ist für ihren süßen Wein, den Ziegenkäse und delikate Entenleberpasteten bekannt. Lächelnd und küssend bauen diese seligen Menschen ihren Wein an, melken die Ziegen und stopfen die Enten. Einmal habe ich in einem »Grundkurs für Schicksalseher« gelesen, es stehe jedem ins Gesicht geschrieben, was er täglich vor Augen habe. Daher wundert es mich nicht, dass die Bauern Südfrankreichs strahlen: Sie reflektieren bloß das, was sie jeden Tag vor Augen haben. Merkwürdigerweise überträgt sich diese Seligkeit nicht auf deutsche oder englische Touristen, die sich in der Gegend Häuser oder sogar Schlösser gekauft haben, um sich in der Natur zu entspannen. Viele von ihnen sehen frustriert aus, obwohl sie doch jeden Tag in die gleiche liebliche Landschaft wie die Einheimischen schauen. Viele fühlen sich vom Paradies betrogen, sie wollen ihre tollen Häuser verkaufen und wegziehen. Sie haben hier nicht das gefunden, was sie gesucht haben. Oder sie sind falsch abgebogen und ins falsche Paradies geraten.
Wir haben aus Courage unserem französischen Freund erzählt, wir würden uns auch gerne in Südfrankreich niederlassen, und mit ihm zusammen ein paar Häuser für und von Touristen angekuckt, die verkauft werden sollten. Das erste gehörte dem ehemaligen Tontechniker von Supertramp. Auf einem malerischen Hügel stand sein großes Haus, eigentlich ein kleines Schloss, mit mindestens zwanzig Zimmern, fünf Badezimmern, drei Küchen und jeder Menge Platz dazwischen. Mittendrin saß der ehemalige Tontechniker von Supertramp, schaute aus dem Fenster auf die Berge und trank schweren Rotwein.
An die Band Supertramp konnte ich mich noch erinnern, ich hatte ihren Sound in meiner Jugend gehört, als wir noch dumm und naiv waren. Wir hörten Black Sabbath, Deep Purple, Slade, Uria Heep und eben manchmal auch Supertramp auf Tonbändern, die wir schon damals nicht kauften, sondern überspielten. Das ist lange
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