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Onkel Wanja kommt

Titel: Onkel Wanja kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Kaminer
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her. Der Tontechniker hatte inzwischen einen langen weißen Bart und von der Musikwelt die Nase voll. Er wollte sich zurückziehen, dorthin, wo ihn niemand fand. Doch man sah ihm an, dass ihn auch niemand so richtig gesucht hatte.
    Wir kamen ins Gespräch. Als aufgeklärter kritischer Geist wollte der Mann keine Kinder in diese Welt voller Drogen und Leid setzen. Er hatte auch keine Amouren mit Frauen, denn viele Frauen gehen eine Beziehung ein in der Hoffnung, irgendwann vielleicht einmal eine Familie zu haben und Kinder zu bekommen. Er wollte die Frauen nicht enttäuschen und hielt sich deswegen von ihnen fern. Auch in Sachen Freundschaft war der Mann skeptisch. Er wusste aus seiner wilden Zeit mit Supertramp, dass viele nur so taten, als ginge es ihnen um die Freundschaft. In Wirklichkeit wollten sie bloß in der Künstlergarderobe bis an den Cateringtisch vordringen. Solche Leute bringen ihre Freunde mit, die wiederum ihre eigenen Freunde haben, schnell ist der Rotwein alle und sind die belegten Brötchen weggegessen. Nun saß der Supertramptechniker in seinem Haus wie Adam ohne Eva im Paradies und versuchte anscheinend abwechselnd oder gleichzeitig in seine fünf Klos zu kacken. Das Haus sah seltsam unbewohnt aus, obwohl in jedem Zimmer irgendeine Kleinigkeit lag, die an den Besitzer erinnerte – eine aufgeschlagene Kunstzeitschrift, Socken, ein leeres Rotweinglas.
    In einem Zimmer lagen Pinsel und standen Bilder in den Ecken. Der Supertramptechniker erwies sich als leidenschaftlicher Maler, der in erster Linie Naturlandschaften malte. Ich glaube, er hat eine Dauerwerbesendung für sogenannte Zauberpinsel gesehen. Ich habe sie auch einmal gesehen und weiß daher, wie schwer es nach dieser Serie ist, kein Künstler zu werden. Ein Mann erklärt dort mit hypnotischer Stimme zwei Stunden lang, wie leicht es ist, mit dem richtigen Pinsel Naturlandschaften zu malen. Er übermalt dabei stets in Realzeit den Winter mit dem Sommer und den Sommer mit dem Herbst. Danach will jeder Maler werden. Der Supertramptechniker war aber Realist. Er hielt sich für keinen großen Künstler, er wollte das Haus verkaufen und mit dem Geld eine Galerie mit richtiger Kunst aufmachen. Wo genau, das hatte er noch nicht beschlossen. Entweder in Sydney oder in Paris.
    Das zweite Haus war ein richtiges Schloss. Eine alte kinderlose Dame, der letzte Spross einer südfranzösischen Landadelsippe, hatte ihren Familiensitz an den Chef des Sicherheitsdienstes von BMW verkauft. Sie behielt sich aber das Recht vor, bis ans Ende ihrer Tage in der oberen Etage des Schlosses in ihrem Zimmer zu wohnen. Das Schloss stammte aus dem fünfzehnten Jahrhundert und war sicherlich im sechzehnten Jahrhundert das letzte Mal renoviert worden. Der Chef des Sicherheitsdienstes von BMW stellte schnell fest, dass er sich mit dem Kauf völlig übernommen hatte. Die zwei wichtigsten Immobiliengutachten, die in Frankreich unabdingbar sind – das Schwermetallgutachten und das Termitengutachten –, lagen zwar vor, doch erst nach dem Kauf stellte der Besitzer fest, dass mehrere Wände mit Bleifarbe bemalt waren. Und dem Dachdecker flogen die Termiten ins Gesicht, als er ein paar Kacheln auf dem Dach austauschen wollte. Termiten fliegen normalerweise nicht, ihnen wachsen nur dann Flügel, wenn eine Überpopulation entsteht, die nicht mehr in ein Haus passt. Dann fliegen sie los auf der Suche nach weiteren leckeren Schlössern mit viel Holz.
    Dieses Schloss erwies sich also als ein Sparschwein ohne Boden. Der neue Besitzer war verzweifelt. Die wertvolle Immobilie sollte nämlich eigentlich genau das Gegenteil sein: ein Geschäft, eine zusätzliche Einkommensquelle, ein Hotel der gehobenen Klasse. Er wollte Geld damit verdienen. Die Frau des Besitzers wollte dagegen Kultur ins Schloss holen, Künstler und Philosophen einladen, Seminare und Denkwochen veranstalten. Die aus Deutschland eingeladenen Denker kamen auch gerne. Sie dachten zwei, manchmal sogar drei Wochen am Stück vor sich hin, zahlten aber nicht. Es ist sehr schwer, in Südfrankreich etwas mit Kultur auf die Beine zu stellen, beschwerte sich die Herrin des Hauses. Sie hatte Recht. Wer soll hier die Früchte dieser Kultur nutzen? Die Ziegenmelker? Die Weinbauern? Sie haben ihre eigenen Feste: das Weinfest, auf dem sie wie blöd Weinfässer um die Kurve rollen; oder das Ziegenfest, bei dem sie mit den Ziegen Versteck spielen. Und schließlich haben sie noch das Entendankfest, an dem sie den Enten für ihre Leber

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