Onkel Wanja kommt
Möglichkeit, unerwartet von einem Vorgesetzten kontrolliert zu werden. Für diesen Fall hatten wir eigene Frühwarnsysteme entwickelt. Der wachhabende Soldat am Kontrollpunkt, der als Tür zu unserer Einheit diente, ein ehemaliger Student der russischen Filmakademie, gab uns per Funk ein verabredetes Zeichen, wenn ein Offizier das Gelände betrat. Wir waren so vor dem plötzlichen Auftauchen unserer Vorgesetzten besser gesichert als vor allen tieffliegenden Objekten der Welt. Aber das nächtliche Erscheinen eines Vorgesetzten war genauso unwahrscheinlich wie das Auftauchen irgendwelcher tieffliegender Objekte am Himmel, die unsere Ruhe stören konnten. Der friedliche Himmel, den wir bewachten, glänzte mit sehr weit entfernt fliegenden Objekten: mit Sternen, Meteoriten und für uns unerreichbaren Planeten.
Auf meiner Radiorelaystation standen drei große Schränke voller Apparate: ein Sendeschrank, ein Empfängerschrank und ein Kommunikationsschrank, der Sender und Empfänger miteinander verband. All diese Schränke hatten eine weitere Funktion. Im Sendeschrank hortete ich Trockenbrot, das ich aus den Resten unseres Frühstücks machte. Der Empfängerschrank diente als geheimes Versteck für Unerlaubtes, dort hatte ich einen Fotoapparat, ein kleines Radio und Spielkarten liegen. Den Kommunikationsschrank benutzte ich regelmäßig, um in Anwesenheit eines Offiziers meine Unersetzlichkeit zu beweisen. Dieser Schrank hatte viele Knöpfe und Regler, die sofort jede stationäre Verbindung mit anderen Einheiten unterbrechen konnten. Einige dieser Knöpfe und Regler waren mir gut bekannt, aber die sich ständig abwechselnden Offiziere kannten sich nicht besonders gut mit dieser Technik aus. Also konnte ich jederzeit die von mir selbst verursachten Verbindungsdefizite beseitigen.
Neben meiner kleinen Radiorelaystation standen in unmittelbarer Nähe andere streng geheime Hütten, alle mit sich langweilenden Soldaten besetzt, die nichts Besseres zu tun hatten, als zwei Jahre lang Nacht für Nacht den Himmel zu beobachten. Manchmal kamen wir zusammen und spielten Karten oder Schach, oder wir hörten im Radio Musik. Ich hatte keine Ahnung, wie viele solcher Stationen sich insgesamt in unserem Wald befanden, ich kannte nur meine nächsten Nachbarn. Links von mir saß in einem Bauwagen, der meiner Station äußerlich ähnelte, Arnas Grizkavichus, ein Lette, Briefmarkensammler und leidenschaftlicher Schachspieler. Rechts von mir diente der weißrussische Kollege Gleb in einem gut getarnten Bunker als Geheimtelegrafist. Er interessierte sich weniger für Spiele und Musik, dafür mehr für Essen.
Wegen der hohen Geheimhaltungsstufe durften wir keinen Urlaub machen, in unseren zwei Dienstjahren den Wald kein einziges Mal verlassen, und alle Ausgehmöglichkeiten waren uns verboten. Familienangehörige durften uns ebenfalls nicht besuchen. Manche taten es trotzdem, obwohl es ein ziemliches Abenteuer war. Dafür mussten Verwandte oder Freunde eine Fahrgelegenheit finden, die sie zu unserem Standort brachte, denn regulär fuhr nichts und niemand in unsere Richtung. Dann mussten sie nachts an einer bestimmten Stelle im Wald auftauchen, wo wir ein großes Loch in den Stacheldraht geschnitten hatten. Einige besuchten uns häufig, kannten den Weg gut und meldeten sich manchmal mitten in der Nacht mit einem Überraschungsbesuch bei unserem Freund, dem gelernten Filmemacher vom Kontrollpunkt. Meine Nachbarn rechts und links hatten beide unglaublich attraktive Freundinnen, die sie außerdem auch noch heldenhaft oft besuchten. Die Regie vom Kontrollpunkt drehte jedes Mal durch, wenn eine der beiden Schönheiten nachts bei ihr auftauchte.
»Achtung, Achtung, Soldat Arnas Grizkavichus wird sofort am Kontrollpunkt von Sharon Stone erwartet«, hörte man dann über Funk.
Arnas lief eilends zum Häuschen, um seine Sharon Stone zu sich in den Bauwagen zu holen. Kaum machte er die Tür zu, fingen all seine Geheimtelefone über alle Leitungen an zu klingeln. Die neidischen Kameraden kamen ihm laufend mit dämlichen Fragen, um ihn von seiner Freundin abzulenken.
Wenn der weißrussische Soldat Gleb Besuch bekam, hieß es immer, »Susan Sarandon ist angekommen«. Es war jedes Mal ein Fest für die ganze Einheit. Denn Susan Sarandon kam niemals mit leeren Händen, sie hatte immer mindestens einen Koffer voller Proviant dabei.
Mich besuchte nur meine Mama. Meine damalige Moskauer Liebe träumte im echten Leben davon, eine große Schauspielerin zu
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