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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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zeigte sich von Anfang an, dass Röntgenstrahlen sehr energiereich waren und überall dort Wärme erzeugten, wo sie absorbiert wurden. Doch trotz ihres erheblichen Durchdringungsvermögens blieb ihre Reichweite ziemlich begrenzt. Darin verhielt es sich mit den drahtlosen Wellen, den Funkwellen, genau umgekehrt, die, wenn sie richtig gesendet wurden, mit Lichtgeschwindigkeit über den Ärmelkanal springen konnten. Auch die Funkwellen trugen Energie. Ich fragte mich, ob diese seltsamen, manchmal gefährlichen Verwandten des sichtbaren Lichts H. G. Wells die Idee zu den unheimlichen Wärmestrahlen eingegeben hatten, die die Marsleute im Krieg der Welten verwendeten, denn das Buch war zwei Jahre nach Röntgens Entdeckung erschienen. Die Wärmestrahlung der Marsleute, schrieb Wells, sei ein unsichtbarer Feuerstrahl, ein unsichtbarer, aber glühend heißer Finger, ein unsichtbares und unerbittliches Feuerschwert. Von einem Parabolspiegel projiziert, erweichte sie Eisen, brachte Glas zum Schmelzen, machte Blei flüssig wie Wasser und ließ Wasser seinerseits explosionsartig verdampfen. Und die Wärmestrahlung sei über das Land gefahren, so Wells, schnell wie das Licht.
    Während die Röntgenstrahlen begierig Aufnahme und zahllose praktische Anwendungen fanden und möglicherweise ebenso viele phantastische Vorstellungen auslösten, brachten sie Henri Becquerel auf ganz andere Gedanken. Becquerel hatte sich breits auf vielen Gebieten der optischen Forschung einen Namen gemacht und kam aus einer Familie, in der das Interesse an der Lumineszenz seit sechzig Jahren eine zentrale Rolle spielte. [60] Fasziniert vernahm er Anfang 1896 die erste Kunde von den neuen Röntgenstrahlen und von dem Umstand, dass sie offenbar nicht aus der Kathode selbst ausstrahlten, sondern von dem fluoreszierenden Fleck, an dem die Kathodenstrahlen das Ende der Vakuumröhre trafen. Er fragte sich, ob die unsichtbaren Röntgenstrahlen nicht eine besondere Form von Energie seien, die mit der sichtbaren Phosphoreszenz einhergehe - und ob die Emission von Röntgenstrahlen tatsächlich eine Begleiterscheinung aller Phosphoreszenz sei.
    Da keine Stoffe so strahlend fluoreszierten wie Uransalze, setzte Becquerel die Probe eines Uransalzes, Kaliumuranylsulfat, einige Stunden der Sonne aus und legte sie anschließend auf eine in schwarzes Papier eingewickelte fotografische Platte. Außer sich vor Freude stellte er fest, dass die Platte vom Uransalz durch das Papier hindurch geschwärzt worden war und auch das «Radiogramm» einer Münze sich leicht herstellen ließ.
    Becquerel wollte seine Experimente wiederholen, er konnte das Uransalz jedoch nicht der Sonne aussetzen (man befand sich mitten im Pariser Winter und der Himmel blieb bedeckt), deshalb blieb es eine Woche lang unberührt in der Schublade liegen, und zwar auf der fotografischen Platte, die in schwarzes Papier eingewickelt war. Dazwischen lag nur ein kleines Kupferkreuz. Doch aus irgendeinem Grund - Zufall oder Vorahnung? - entwickelte er die fotografische Platte trotzdem. Sie war so stark geschwärzt, als wäre das Uran dem Sonnenlicht ausgesetzt gewesen, sogar noch mehr, und zeigte die scharf umrissene Silhouette des Kupferkreuzes.
    Becquerel hatte eine neue und noch viel geheimnisvollere Strahlenenergie als die Röntgenstrahlen entdeckt - die Energie eines Uransalzes, die eine fotografische Platte eintrüben konnte, und zwar offenbar ohne Licht, ohne Röntgenstrahlen oder irgendeiner anderen äußeren Energiequelle ausgesetzt zu sein. Becquerel sei, so schrieb sein Sohn später, über dieses Ergebnis «verblüfft» gewesen ( « Henri Becquerel fut stupéfait») wie Röntgen über seine X-Strahlen - aber dann habe er, ebenfalls wie Röntgen, begonnen, das «Unmögliche» zu erforschen. Er stellte fest, die Strahlen verloren selbst dann nicht an Stärke, wenn das Uransalz zwei Monate lang in der Schublade lag, und sie hatten nicht nur die Fähigkeit, fotografische Platten zu verdunkeln, sondern auch die Luft zu ionisieren und leitfähig zu machen, sodass elektrisch geladene Körper in der Nachbarschaft ihre Ladung verloren. Auf diese Weise ließ sich mit Hilfe eines Elektroskops die Stärke der Becquerel-Strahlen sehr genau messen.
    Als Becquerel diese Experimente mit anderen Stoffen durchführte, stellte er fest, dass nicht nur Uran(VI)-Salze, mit denen er die Entdeckung gemacht hatte, über dieses Vermögen verfügten, sondern auch Uran(IV)-Salze, obwohl diese nicht phosphoreszierten oder

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