Onkel Wolfram - Erinnerungen
erstickenden Kohlendioxid mit grellem Licht weiter. Das erinnerte mich an die Brandbomben, die während des Krieges abgeworfen wurden und die weder durch Kohlendioxid noch Wasser oder Sand gelöscht werden konnten. Wenn man Magnesium und Sand erhitzte - was konnte inaktiver sein als Siliziumdioxid? -, brannte das Magnesium mit heller Flamme, wobei es den Sauerstoff aus dem Sand herauszog, sodass elementares Silizium oder eine Mischung aus Silizium und Magnesiumsilizid zurückblieb. (Trotzdem hat man während des Krieges Sand verwendet, um gewöhnliche Feuer zu löschen, die durch Brandbomben entzündet worden waren, auch wenn der Sand gegen das brennende Magnesium selbst nicht half. Daher sah man während des Krieges überall in London Sandeimer, jedes Haus hatte seinen eigenen.) Wenn man das Suizid in verdünnte Salzsäure tauchte, erzeugte es durch seine Reaktion ein spontan entzündbares Gas, Siliziumwasserstoff oder Silan. Blasen dieses Gases stiegen in der Lösung auf, bildeten Rauchringe und fingen mit kleinen Explosionen Feuer, sobald sie an die Oberfläche gelangten.
Für Feuerzauber dieser Art verwendete ich einen sehr langstieligen «Verbrennungslöffel», den ich mit etwas Brennstoff füllen und schwungvoll in einen Zylinder mit Luft, Sauerstoff oder was auch immer absenken konnte. Am schönsten waren die Flammen, wenn man Sauerstoff verwendete. Wenn man Schwefel schmolz und ihn in Sauerstoff senkte, fing er Feuer und verbrannte mit strahlend blauer Flamme, wobei stechend riechendes, erstickendes Schwefeldioxid entstand. Stahlwolle, aus der Küche stibitzt, war überraschend entzündlich - auch sie brannte mit heller Flamme in Sauerstoff und ließ wie die Wunderkerzen am Guy Fawkes Day einen Funkenschauer aufstieben, der als schmutzig brauner Eisenoxidstaub niedersank.
Bei chemischen Experimenten solcher Art spielte ich mit dem Feuer, im wörtlichen wie im metaphorischen Sinne. Gewaltige Energien, plutonische Kräfte wurden dabei entfesselt, und ich hatte das aufregende, aber immer etwas prekäre Gefühl, über diese Kräfte zu gebieten - jedenfalls manchmal. Das galt in besonderem Maße für die heftigen exothermen Reaktionen von Aluminium und Magnesium; mit ihnen ließen sich Metallerze reduzieren oder auch elementares Silizium aus Sand produzieren, doch ein bisschen Unachtsamkeit, ein kleiner Rechenfehler, und schon hielt man eine Bombe in Händen.
Diese Gefahren trugen nur zur Romantik der chemischen Versuche und Entdeckungen bei. Jungenhaften Stolz empfand ich, wenn ich mit diesen gefährlichen Stoffen hantierte, und bestürzt las ich dann, wie viele Unfälle die Pioniere erlitten hatten. Nur wenige Entdeckungsreisende waren von wilden Tieren zerrissen worden oder giftigen Pflanzen und Insekten zum Opfer gefallen; nur wenige Physiker hatten beim Blick gen Himmel ihr Augenlicht verloren oder sich auf der schiefen Ebene ein Bein gebrochen; dagegen hatten viele Chemiker Augen, Gliedmaßen und sogar ihr Leben eingebüßt, meist weil sie unabsichtlich Explosionen herbeigeführt oder gefährliche Gifte erzeugt hatten. Alle Forscher, die sehr früh mit dem Phosphor umgingen, zogen sich schwere Verbrennungen zu. Bei Experimenten mit Kakodylzyanid hat Bunsen durch eine Explosion sein rechtes Auge und um Haaresbreite auch sein Leben verloren. Später versuchten mehrere Experimentatoren, unter anderem Moissan, Diamant aus Graphit herzustellen, und fertigten zu diesem Zweck extrem erhitzte «Hochdruckbomben» an, mit denen sie leicht sich selbst und ihre Mitarbeiter ins Jenseits hätten befördern können. Humphry Davy, der zu meinen ganz besonderen Helden gehörte, war fast an Stickstoffoxid erstickt, hatte sich mit Stickstoffperoxid vergiftet und die Lungen durch Flusssäure entzündet. Davy experimentierte auch mit dem ersten «brisanten» Sprengstoff - Chlorstickstoff -, der viele Menschen um Finger und Augen brachte. Er entdeckte mehrere neue Methoden, Stickstoff und Chlor zu verbinden, und verursachte einmal eine heftige Explosion, als er bei einem Freund zu Besuch war. Davy selbst erblindete teilweise und brauchte vier Monate, um sich wieder zu erholen. (Welchen Schaden er am Haus seines Freundes anrichtete, ist nicht überliefert.)
The Discovery of the Elements widmete einen ganzen Abschnitt den «Fluormärtyrern». Während man elementares Chlor bereits in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts aus Salzsäure isoliert hatte, war sein aktiverer Verwandter, das Fluor, nicht so leicht zu gewinnen.
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