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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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konnte man das Amalgam entfernen oder es weiter reagieren lassen, bis die Lösung grün wurde, die Farbe von dreiwertigem Vanadium. Wenn man noch länger wartete, verschwand das Grün zugunsten eines schönen Lila, der Farbe von zweiwertigem Vanadium. Das umgekehrte Experiment bot sogar noch größeren ästhetischen Reiz, besonders wenn man eine dunkelviolette Schicht Kaliumpermanganat über das zarte Lila legte. Wartete man einige Stunden, oxidierte es und bildete verschiedene Schichten - lilafarbenes zweiwertiges Vanadium am Boden, dann grünes dreiwertiges Vanadium, darauf blaues vierwertiges Vanadium, schließlich fünfwertiges Vanadium (und ganz oben eine braune Schicht des ursprünglichen Permanganats, das jetzt braun war, weil es sich mit Mangandioxid vermischt hatte).
    Diese Farbexperimente überzeugten mich davon, dass es eine sehr enge (wenn auch unverständliche) Beziehung zwischen der atomaren Beschaffenheit vieler Elemente und der Farbe ihrer Verbindungen oder Mineralien geben musste. Es zeigte sich die gleiche Farbe, egal, welche Verbindung man betrachtete. So spielte es beispielsweise keine Rolle, ob es sich um Mangankarbonat, Mangannitrat oder Mangansulfat handelte, die Verbindungen wiesen alle das gleiche Rosa des zweiwertigen Manganions auf (die Permanganate mit dem siebenwertigen Manganion waren hingegen alle dunkelviolett). Daraus gewann ich den vagen Eindruck - sicherlich keinen, den ich zu der Zeit genauer in Worte hätte fassen können -, dass die Farbe dieser Metallionen, ihre chemische Farbe, in einer Beziehung zu dem besonderen Zustand ihrer Atome stand, währenddessen sie sich von einer Oxidationsstufe zur anderen bewegten. Wie kamen insbesondere die Übergangselemente zu ihren charakteristischen Farben? Waren diese Stoffe, ihre Atome, irgendwie «gestimmt»? [10] Mir schien, ein Großteil der Chemie hatte mit Wärme zu tun - manchmal benötigte sie und manchmal produzierte sie Wärme. Häufig brauchte es Wärme, um eine Reaktion in Gang zu setzen, doch ihren Fortgang nahm sie dann aus eigener Kraft, und nicht selten mit geradezu unmäßiger Heftigkeit. Wenn ich Eisenfeilspäne und Schwefel einfach mischte, geschah gar nichts - ich konnte die Eisenfeilspäne aus der Mischung sogar mit einem Magneten herausziehen. Doch sobald man die Mischung erwärmte, begann sie plötzlich zu glühen, hell und weiß, und etwas vollkommen Neues wurde geschaffen - Eisensulfid. Dies schien eine grundlegende, fast eine Urreaktion zu sein, und ich stellte mir vor, sie finde in riesigem Maßstab im Inneren der Erde statt, wo geschmolzenes Eisen und Schwefel miteinander in Berührung kämen.
    Eine meiner frühesten Erinnerungen (ich war damals erst zwei) ist der Anblick des brennenden Kristallpalastes. Meine Brüder nahmen mich mit auf den Parliament Hill, den höchsten Punkt von Hampstead Heath. Wild und schön wurde der Nachthimmel von dem brennenden Palast erleuchtet. An jedem 5. November, dem Guy Fawkes Day, dem Tag der Pulververschwörung, veranstalteten wir ein kleines Feuerwerk bei uns im Garten - kleine Wunderkerzen aus Eisenstaub, rote und grüne bengalische Lichter und Knallkörper, die mich vor Angst wimmern ließen und in mir, wie in unserem Hund, den Wunsch weckten, mich zu verkriechen. Ich weiß nicht, ob es diese Erfahrungen waren oder eine Urliebe zum Feuer, jedenfalls übten Flammen und Brände, Explosionen und Farben eine ganz besondere (manchmal auch Schrecken erregende) Anziehungskraft auf mich aus.
    Gerne mischte ich Jod und Zink oder Jod und Antimon - hier bedurfte es keiner Wärme - und beobachtete, wie sich die Stoffe spontan erhitzten, woraufhin sich eine Wolke von violettem Joddampf über dem Ort des Geschehens ausbreitete. Die Reaktion fiel heftiger aus, wenn man Aluminium anstelle von Zink oder Antimon nahm. Wenn ich zwei oder drei Tropfen Wasser zur Mischung hinzufügte, fing sie Feuer, brannte mit einer violetten Flamme und bestäubte alles mit feinem braunem Jodpulver.
    Magnesium war wie Aluminium ein Metall, dessen Paradoxa mich faszinierten: fest und stabil genug, um in seiner massiven Form zum Bau von Flugzeugen und Brücken verwendet zu werden, aber fast erschreckend aktiv, sobald die Oxidation, die Verbrennung, eingesetzt hatte. Man konnte Magnesium in kaltes Wasser legen, ohne dass etwas passierte; in heißem Wasser begänne Wasserstoff in Blasen aufzusteigen; doch wenn man ein Magnesiumband anzündete, brennte es auch unter Wasser oder in dem normalerweise jede Flamme

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