Onkel Wolfram - Erinnerungen
verwendet), ohne dass man dazu Birnen brauchte. Man nahm einfach irgendeinen Alkohol - Ethyl-, Methyl- oder Amylalkohol, egal - und destillierte ihn mit Essigsäure, um den entsprechenden Ester zu gewinnen. Ich war erstaunt, dass etwas so Einfaches wie Essigester für das komplexe, köstliche Aroma von Birnen verantwortlich sein konnte und winzige chemische Veränderungen dies wiederum in andere Fruchtessenzen verwandeln konnten - man ging von Ethyl zu Isoamyl über und erhielt den Duft reifender Äpfel, noch ein paar winzige Modifikationen, und man hatte Ester, die nach Bananen, Aprikosen, Ananas oder Weintrauben rochen. So verliefen meine ersten Begegnungen mit den weit reichenden Möglichkeiten der chemischen Synthese.
Neben den angenehmen, fruchtigen Aromen gab es noch eine ganze Anzahl scheußlicher, animalischer Gerüche, die sich leicht aus einfachen Bestandteilen herstellen oder aus Pflanzen extrahieren ließen. Hier ließ mich Tante Len gelegentlich an ihren botanischen Kenntnissen teilhaben, unter anderem machte sie mich mit einer Pflanze namens Stinkender Gänsefuß bekannt, einer Chenopodium- Art. Destillierte man sie in einem alkalischen Medium - ich verwendete Soda -, erhielt man einen besonders scheußlich stinkenden Stoff, der nach verwesten Krebsen oder Fischen roch. Die flüchtige Substanz, Trimethylamin, ergab sich überraschend einfach - ich hatte gedacht, der Gestank von verwestem Fisch müsse einen komplizierteren Ursprung haben. In Amerika, so erzählte mir Len, gebe es eine Pflanze, die Stinkkohl heiße und Verbindungen enthalte, die nach Leichen und fauligem Fleisch rochen. Ich fragte sie, ob sie mir die Pflanze besorgen könne, sie konnte jedoch nicht - wohl ein eher glücklicher Umstand.
Einige dieser stinkenden Substanzen verleiteten mich zu Kinderstreichen. Jeden Freitag bekamen wir frischen Fisch, Karpfen und Hecht, den meine Mutter zerstampfte, um gefillte Fisch für Schabbes zu bereiten. Eines Freitags träufelte ich ein bisschen Trimethylamin dazu. Als meine Mutter es roch, verzog sie angeekelt das Gesicht und warf den ganzen Fisch in den Mülleimer.
Mein Interesse für Gerüche brachte mich zu der Frage, wie wir Aromen erkennen und einordnen, wie die Nase beispielsweise Ester von Aldehyden unterscheidet oder eine Stoffklasse wie die Terpene gewissermaßen auf den ersten Geruch erkennt. So armselig mir auch unser Geruchssinn im Vergleich zu dem eines Hundes erschien - unsere Hündin Greta konnte ihr Lieblingsfutter wittern, wenn die Dose am anderen Ende des Hauses geöffnet wurde -, offenbar arbeitete im Menschen eine chemische Analyse-Instanz, die mindestens genauso leistungsfähig war wie die des Auges oder des Ohrs. Allerdings schien es keine einfache Ordnung zu geben wie die Tonleiter oder das Farbenspektrum. Trotzdem leistete die Nase Bemerkenswertes bei der Bildung von Stoffklassen, die in gewisser Weise der Grundstruktur chemischer Moleküle zu entsprechen schienen. Alle Halogene hatten, so verschieden sie auch waren, einen halogenartigen Geruch. Chloroform roch genau wie Bromoform (obwohl nicht identisch) und wies einen ganz ähnlichen Geruch wie Tetrachlorkohlenstoff auf (der unter der Bezeichnung Thawpit als Fleckentferner vertrieben wurde). Die meisten Ester hatten fruchtigen Charakter; Alkohole - jedenfalls die einfachsten - rochen «alkoholisch»; auch Aldehyde und Ketone hatten ihre eigenen charakteristischen Gerüche.
(Natürlich war man auch vor Irrtümern und Überraschungen nicht gefeit. Onkel Dave erzählte mir, dass Phosgen, Carbonylchlorid, das schreckliche Giftgas, das im Ersten Weltkrieg eingesetzt wurde, seine Gefährlichkeit nicht etwa durch einen halogenartigen Geruch ankündigte, sondern seine Opfer durch den Duft von frisch gemähtem Gras in Sicherheit wiegte. Der süße, ländliche Duft, der sie an die Heufelder ihrer Kindheit erinnerte, war das Letzte, was die phosgenvergasten Soldaten wahrnahmen, bevor sie starben.)
Der schlechte Geruch, der Gestank, schien stets von schwefelhaltigen Verbindungen erzeugt zu werden (die Gerüche von Knoblauch und Zwiebeln waren einfache organische Sulfide, eine chemische Verwandtschaft, die sich als ebenso nah erwies wie die botanische). Den größten Gestank verursachten die Schwefelalkohole, die Merkaptane. Ich las, für den Gestank der Skunks sei Butylmerkaptan verantwortlich - ein Stoff, der in verdünnter Form angenehm und erfrischend erscheine, in hohen Konzentrationen aber widerlich und unerträglich sei. (Als
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